Reisen

Rauhelleren – DNT-Hütte mit Ausblick

Rauhelleren, Hardangervidda, Norwegen, Foto: Martin Hülle

Seit vielen Jahren bereise ich die nordischen Länder. Auch im Winter immer wieder mit dem Zelt. Doch vielleicht werde ich auch einmal eine reine Hüttentour unternehmen, um die Gemütlichkeit weiter auszukosten, wie ich sie im vergangenen Jahr bei einer Skitour über die Hardangervidda in der DNT-Hütte Rauhelleren erlebt habe.

Eine Kurzgeschichte

Seit mehreren Tagen laufe ich bereits über die Hardangervidda. Gestartet bin ich Ende Februar in Haukeliseter, am Südrand der größten Hochebene Nordeuropas. Mein Ziel ist Finse, weiter im Norden gelegen, an der Bahnlinie Oslo-Bergen. Bis dorthin erstreckt sich eine weitläufige Berglandschaft. Nur vereinzelte Hütten des DNT, des norwegischen Wandervereins, sind hier und da zu finden. Die meisten davon sind klein, für Selbstversorger vorgesehen, und verschlossen. Den Schlüssel erhält man als Vereinsmitglied beim DNT. Ich bin ohne diesen Nøkkel unterwegs, schließlich habe ich ein Zelt in meinem Pulka-Schlitten, welches ich jeden Abend an einem anderen Ort aufschlage. Entlang der Hellevassbu und den Hütten von Lågaros ziehe ich meine Skispur durch verschneite Täler und über zugefrorene Seen. Die Tage sind recht warm, die Nächte eisigkalt. Schnee liegt nicht viel – nur gut ein Meter. An exponierten Stellen kommt der kahle Boden durch. Kalt war es über Monate in diesem Winter. Immerzu Frost. Es fehlten die sonst üblichen warmen Tage dazwischen, die normalerweise dazu führen, dass sich der Schnee verdichtet und fest wird. So ist die weiße Masse nun trotz der geringen Menge oft tief und grundlos. Vielerorts ist das Vorankommen anstrengend. Auch im Geitvassdalen, einige Kilometer südöstlich der Rauhelleren-Hütte. Hinter dem Tjuvhyttnutan schleppe ich mich ein flaches Tal hinauf – langsam, sehr langsam. Bis ich endlich höher komme, sich der Ausblick weitet und ich entfernt die Gebäude unterhalb des markanten Midtnuten-Berges sehen kann. Und zu meiner freudigen Überraschung stolpere ich hier über eine frisch markierte Winterroute, die schnurstracks nach Rauhelleren führt. Sie muss von Mårbu kommen und ist jetzt in den ersten Märztagen – der Zeit, in der die Winterwege auf der Hardangervidda markiert werden – mit Skidoos abgefahren worden. Alle 20 Meter steckt ein kleines Bäumchen im Schnee – so findet jeder Wanderer auch bei schlechtester Sicht den Weg.

Nach Rauhelleren
Schnell komme ich auf der frisch gewalzten Trasse weiter voran bis Rauhelleren, einer der größeren Hütten im Hardangervidda-Nationalpark. Einige Zeit im Jahr ist sie sogar bewirtschaftet, doch noch wird sie wohl geschlossen haben, denke ich, und überlege, in ihrer Nähe mein Zelt aufzuschlagen. Als ich mich dem Eingang nähere, sehe ich allerdings, dass dieser freigeräumt ist. Ich schnalle Ski und Schlitten ab und gehe zur Türe. Und siehe da: Sie ist unverschlossen. In der Hütte schlägt mir erdrückend warme Luft ins Gesicht. Der Schnee, der eben noch an meinen Schuhen klebte, fällt auf den Boden und schmilzt in rasantem Tempo. Niemand ist zu sehen. Doch dann vernehme ich Stimmen. Ich mache mich auf die Suche und stoße in der großen Küche auf einen älteren Norweger. Kurzentschlossen frage ich, ob es möglich wäre, die kommende Nacht hier zu verbringen. Der Gedanke an ein warmes Bett anstelle einer kalten Zeltnacht ist zu verlockend. Er ruft eine jüngere Frau hinzu, die sich als die Hüttenwirtin entpuppt. Tja, eigentlich hätten sie noch gar nicht geöffnet, meint sie, das wäre erst in zwei Tagen der Fall. Aber ich könnte trotzdem schon bleiben. Nur, einen Haken hätte das ganze: Die Wasserleitungen seien defekt und es gäbe daher noch kein fließend Wasser. Sie müssten auf dem Herd Schnee schmelzen, bis ein Klempner mit dem Schneemobil kommt, um die Leitungen zu reparieren. Eine warme Dusche könnte ich daher nicht genießen, aber sie könne mir kochendes Wasser in meine Thermoskannen füllen. Wenn ich damit zurechtkäme, dann wäre das mit der Übernachtung kein Problem.

Schnell habe ich meine wichtigsten Sachen von draußen hereingeholt und in meinem kleinen Zimmer ausgebreitet. Vor allem der Schlafsack kann hier einmal so richtig durchtrocknen. Ich mache es mir im gemütlichen Aufenthaltsraum bequem, wo ein Kaminfeuer knistert und für angenehme Wärme sorgt. Sonnenstrahlen durchfluten das Zimmer. Durch die großen Fenster blicke ich auf den Langesjøen, der sich unterhalb der Hütte ausbreitet. Ich bin der einzige Gast und der erste des Jahres. Entsprechend ruhig ist es. Nur ab und an kommt Lars-Magnus auf wackeligen Beinen anmarschiert – der 20 Monate alte chinesische Adoptivsohn der Hüttenwirtin Mona Lægreid. Zielstrebig läuft er immer wieder zu den Fenstern. Auch er hat schon erkannt, wie schön der Ausblick von hier ist. Als er am Abend im oberen Stockwerk von seiner Mutter zu Bett gebracht wird, geht im Westen langsam die Sonne unter. Glühende Wolkenfetzen hängen wie Feuer am Hårteigen, diesem markanten Gipfel, der weithin sichtbar am Horizont hinter dem „langen See“ aufragt.

Friedliche Nachtruhe
Eine friedliche Nachtruhe legt sich über Rauhelleren. Am klaren Himmel prangen die Sterne wie Millionen funkelnde Schneekristalle. Doch bevor auch ich ins Bett krieche, unterhalte ich mich noch mit Mona Lægreid über alte Zeiten. Sie sitzt in einem kleinen Wohnraum hinter der Rezeption und strickt. Rauhelleren ist seit Generationen im Familienbesitz und schon ihr Großvater kam aus Eidfjord hierher, wo die Lægreids eigentlich wohnen. Früher zogen sie mit Pferden auf die Hardangervidda. Auch im Winter. Da wurden den Tieren Schneeschuhe angelegt, die sie zuerst schnell wieder loswerden wollten. Doch die Pferde merkten schnell, dass sie damit im tiefen Schnee leichter vorankamen. Dennoch dauerte die beschwerliche Reise von den Ausläufern des Hardangerfjorden bis ins Gebirge drei Tage. Kaum zu glauben – heutzutage ist die Strecke mit Auto und Skidoo in anderthalb Stunden zu bewältigen.

Am nächsten Morgen halten ein paar Wolken die Sonne zurück, die in den letzten Tagen immer schon so früh für Wärme sorgte. In Ruhe frühstücke ich Milchreis Vanille, den ich mit kochendem Wasser aus der Küche angerührt habe. Dazu ein heißer Tee, das lodernde Kaminfeuer und der Blick aus dem Fenster. Ungern verlasse ich Rauhelleren, um für weitere Tage hinauszuziehen in die kalte Winterlandschaft. Doch ich packe meinen Schlitten und lasse den gastfreundlichen Ort zurück. Kurz bevor ich aufbreche, kommen Hans-Olav, der Mann von Mona Lægreid, und ein Klempner mit einem Motorschlitten angedüst. Ob sie die Wasserleitungen schnell wieder frei bekommen? Denn morgen öffnet Rauhelleren für alle Skiwanderer offiziell seine Pforten. Den Blick über die weiße Weite des Langesjøen und die Hardangervidda mögen sie alle genießen.

> Hardangervidda – Das Tagebuch einer Wintertour (meine Eindrücke der kompletten Skitour)

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