Reisen

Durch Sturmwind und Tiefschnee

Puretreks Skitour, Hardangervidda, Norwegen, Foto: Martin Hülle

Seit Anfang der Woche bin ich zurück aus Norwegen – im Gepäck eine erfolgreiche Skitour über die Hardangervidda. Doch der Weg über Nordeuropas größte Hochebene, über die ich als Guide für das Reiseunternehmen Puretreks eine kleine Gruppe geführt habe, war in diesem Jahr äußerst anspruchsvoll. Denn Wind und Wetter machten das Reisen oft zu einem echten Abenteuer und die Teilnehmer der Tour bekamen die volle norwegische Winterpackung ab.

Schon am ersten Tag zogen nach unserem Aufbruch an der Haukeliseter Fjellstue stürmische Winde auf, die das Laufen erschwerten und die Sicht durch aufstiebenden Schnee vernebelten. Böen mit Geschwindigkeiten von 80 km/h drohten uns umzuwerfen und zeigten uns rasch die Grenzen auf. Nach vielen Stunden erreichten wir eine kleine Fischerhütte am Mannevatn, in deren spärlichen Windschatten wir unsere Zelte aufschlagen wollten. Kurz nachdem wir an dem kleinen Verschlag ankamen, trudelten auch zwei Norweger dort ein, von denen einer durch die Kälte und den Sturm bereits schwer gezeichnet war. Während wir zu fünft eines unserer Zelte aufbauten, mühten sich die Zwei mit ihrem vergebens. Auch unsere Hilfe brachte keinen Erfolg, und die beiden waren nahe daran, wieder aufzubrechen und weiterzuziehen. Erneut hinein in den Sturm, die nahende Nacht, in Richtung des Rettung versprechenden Haukeliseter. Uns war klar, dass sie – so apathisch wie sie schon wirkten – keine Chance hätten, die Fjellstue bei diesem Wetter aus eigener Kraft sicher zu erreichen. Hier und jetzt musste eine Lösung gefunden werden.

An der Hütte war eine Telefonnummer angeschlagen, die man in Notfällen anrufen kann, um einen Code zu erfragen, der Zugriff auf einen Schlüssel ermöglicht, mit dem sich die Türe der Hütte öffnen lässt. In Sturm, Kälte und bedrohlicher Situation ein äußerst kompliziertes Unterfangen, zumal ein Mobiltelefon keinen Empfang hatte. Zum Glück waren wir mit einem Satellitentelefon gerüstet und konnten damit den Code knacken. Bis die Hütte geöffnet und mit einem Feuer im Ofen erwärmt war, hatten wir den besonders angeschlagenen Norweger in unser Zelt verfrachtet und dort umsorgt. Es dauerte eine Stunde, bis er seine Füße wieder spürte …

Die beiden Norweger waren erfahrene Winterwanderer, doch durch eine Verkettung kleiner Nachlässigkeiten, kombiniert mit dem Strum, der ihnen den ganzen Tag lang ins Gesicht geblasen hatte, waren sie in diese verzwickte Lage gekommen. Sie waren dankbar, uns getroffen zu haben. Und wir froh darüber, ihnen haben helfen zu können.

In den nächsten beiden Tagen besserte sich das Wetter, und wir liefen durch das Tal der Bora und an der Hellevassbu vorbei bis zum Bjørnavatnet. Doch dann kam der Sturm zurück. Gepaart mit White-Out hielt er uns in den Zelten gefangen. An ein Weitergehen war nicht zu denken. Wir verloren kostbare Zeit und dachten in Angesicht einer bescheidenen Wettervorhersage über eine Umkehr nach Haukeliseter oder eine einfachere Alternativroute nach Rjukan nach. Der geplante Weg nach Finse schien weit und bei Wind, Schneefall und schlechter Sicht kaum schaffbar.

Am folgenden Morgen sah die Wetterprognose aber nicht mehr ganz so düster aus – und wir beschlossen, unseren ursprünglichen Plan umzusetzen. Auf der weiteren Strecke über Låven und Hansbu schlief der Wind gar für kurze Zeit komplett ein und bei Sonnenschein schien die weite Landschaft friedlich. Doch rasch wurden Wolken erneut stürmisch herangetragen – und wir hatten wieder alle Hände voll zu tun, unsere Zelte sicher aufzubauen, um eine weitere Nacht im Schutze dünnen Nylons zu verbringen.

Das Wetter blieb wechselhaft. Mal miserable Sicht, dann wieder Sonne und blauer Himmel. Mal starker Wind, dann Flaute. Manchmal erschien es auch wie ein Mix aus allem zu sein. In Sandhaug machten wir Mittagspause in der warmen Hütte, bei Hellehalsen genossen wir den Zeltaufbau bei Windstille und zwischen Dyranutane und Søre Gjerenuten erlebten wir einen herrlichen Sonnenaufgang mit Blick auf das eisige Dach des Hardangerjøkulen. Hier wähnten wir uns schon fast am Ziel, doch hinter der Kjeldebu kam es nochmal ganz dicke. Die Hardangervidda wollte uns wohl nicht so einfach ziehen lassen …

Große Flocken fielen vom Himmel und tiefer Neuschnee lag in den Tälern. Mühsam stapften wir weiter und hinterließen kurzzeitig eine Schneise im Schnee, die der stete Luftzug jedoch rasch wieder zuwehte. Wenn es wenigstens bei der nur leichten Brise geblieben wäre – den Schneefall hätten wir da stoisch akzeptiert. Aber nein: Aus dem Wind musste natürlich noch einmal ein Sturm werden! Ohne Sicht, und die nahende Dunkelheit vor Augen, mussten wir auf dem Finnsbergvatnet die Zelte in kräftigen Böen aufschlagen.

Auch der letzte Tag nach Finse war ein Kraftakt. Weiterhin grundloser Schnee und ein Wind, der kalt vom Gletscher herunterwehte und unsere Gesichter erstarren ließ. Doch als wir nach neun anstrengenden Tagen in die weichen Betten des Hotels Finse 1222 fielen, waren wir glücklich und zufrieden. Glücklich darüber, die Hardangervidda von Süd nach Nord überquert zu haben. Und zufrieden, es trotz Sturmwind und Tiefschnee geschafft zu haben.

Die Route
Haukeliseter Fjellstue – Hellevassbu – Hellevatnet – Bjørnavatnet – Låven – Hansbu – Sandhaug – Bjoreidalshytta – Dyranut – Kjeldebu – Finnsbergvatnet – Finse

> Ostertage im Schnee (die Geschichte einer weiteren Puretreks-Skitour)

Dir gefällt mein Blog oder Du möchtest meine Arbeit unterstützen? Dann spendiere mir einen Kaffee :-)

9 Kommentare Neuen Kommentar hinzufügen

  1. Frank sagt:

    Wow, hört sich ja nach einer harten Tour an, vor allem die Sache mit den Norwegern. :-(
    Bin mal auf Deinen Bericht bezüglich Deiner D700 und der Linsenauswahl gespannt … und natürlich auf die Fotos.
    Gerade weil ich gelesen habe, dass das 16-35mm aussen aus Kunststoff ist, wäre es interessant, mal Deine Meinung bezüglich Kälte und harter Tour zum Objektiv zu hören. ;-)

  2. @Frank
    Das obige Foto ist z.B. mit dem 16-35er entstanden. Hinsichtlich der Kälte gab es keine Probleme. Und was den Kunststoff an sich betrifft, muss wohl eine Nutzung über längere Zeit zeigen, wie robust die Linse auf Dauer ist. Ich denke aber nicht, dass es da zu „Zerfall“ kommen könnte … Jetzt auf der Tour führten eher die moderaten Temperaturen zu Schwierigkeiten: Es war oft relativ „warm“ (draußen knapp unter Null – im Zelt sogar leichte Plusgrade) und daher auch feucht. Und im 70-300er kam es sogar zu Kondensation hinter der Frontlinse – aber die Feuchtigkeit verschwand in der warmen Tagessonne schnell wieder …

  3. Hi,

    schöne Geschichte. Bin dann auch mal gespannt auf Erfahrungsberichte mit der D700 (bekomme ja auch bald eine ;-) ).
    Was Kälte und Nikon-Objektive angeht, kann ich auch nur Gutes berichten. Selbst bei -25° hatte ich über Wochen keine Probleme. Und ich war täglich draußen zum fotografieren. Das 70-300er war super. Allerdings war es in Grönland auch sehr trocken. Das macht schon noch was aus. Wir haben ein altes 18-35mm, welches auch jahrelang im Einsatz ist.
    Mit Sigma hingegen (10-20mm) sah es nicht so gut aus. Dieses musste ich danach zur Reparatur wegschicken.

    Nur mal so.

    Martin

  4. Hi Martin,

    schön, dass Ihr heile wieder zurück gekommen seid und schön, dass wir uns getroffen haben. Der Tiefschnee hat uns die letzten Kilometer ab Sandhaug aber auch ziemlich zugesetzt, zusätzlich zum Wind. War trotzdem eine super Zeit. Freue mich schon auf mehr Fotos.

    VG Thomas

  5. Frank sagt:

    @Martin
    Hattest Du eigentlich das spezielle Antibeschlag Okular DK-17A auf der 700er oder das normale?
    Ich überlege immer noch, ob ich mir dies zulegen soll, denn gerade die Bedingungen, die Du beschrieben hast (feuchtwarm im Zelt), sind prädestiniert fürs Beschlagen. ;-)

  6. René Cortis sagt:

    @Martin
    Da habt Ihr ja einiges an Wetter mitgenommen. Hatte auch letzte Woche meine ersten Gäste der Uni Bochum hier zu Besuch. Sie wurden mit Sturm, Orkanböen und schönen hohen Wellen verwöhnt. Auf der Fahrt mit der Hurtigrute über den Vestfjord nach Bodø gab es dann auch Windspitzen über 30 m/s und 10 seekranke Studenten.

    @Frank
    Wenn das Okular wirklich funktioniert, wäre es eine feine Sache für Fotografen im hohen Norden. Muss hier nämlich im Winter ständig wischen, um etwas zu sehen.

    Grüße, René

  7. Marcus sagt:

    Hallo Martin,

    trotz der Strapazen bekomme ich bei Deinen Bildern wieder Fernweh und könnte, nachdem meine Fingerspitzen wieder Gefühl haben, sofort wieder starten. Danke für Deine wunderschönen Fotos und auch als super Guide.

    Grüßle, Marcus

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert