Reisen

Hardangervidda – Das Tagebuch einer Wintertour

Hardangervidda Wintertour, Norwegen, Foto: Martin Hülle

In elf Tagen gelang mir eine Überquerung der Hardangervidda – der größten Hochebene Nordeuropas. Von Haukeliseter im Süden bis nach Finse im Norden. Dabei zeigte sich das Wetter von allen Seiten, während ich ganz allein meinen Pulka-Schlitten 150 Kilometer durch die weiße Weite zog. „A good exercise“, bekam ich bei meinem Start in Haukeliseter aufmunternd hinterher gerufen, war der Schnee in diesem Winter doch oft tief und das Laufen häufig sehr anstrengend …

Das Tagebuch der Wintertour

Freitag, 26. Februar – Um kurz nach 10 breche ich auf in Haukeliseter. Laufe erst ein flaches Stück über den Ståvatn, bevor ich die Straße E134 quere und rauf in die Berge steige. Es ist steil und warm. Gen Vesle Nup kommt mir eine Dreiergruppe entgegen. Ihre Abfahrtsspur ist mir zum Aufstieg zu steil – ich mache weite Bögen und schwitze dennoch bei leichten Plusgraden am ganzen Körper. Wolken verschlingen zunehmend die Gipfel, als ich auf der anderen Seite hinab ins Bordalen ziehe. Bei zunehmend schlechter Sicht ist die Steilheit des Geländes kaum mehr einzuschätzen. Als es wieder bergauf geht, finden die Ski an einem steilen Hang im lockeren Schnee keinen Halt mehr – der Pulka-Schlitten zerrt mich zurück. Schritt für Schritt wühle ich mich mit allerletzter Kraft weiter. Am Årmotvatni ist nach sieben Stunden Schluss. Ich bin platt.

Samstag, 27. Februar – Durch das Tal der Bora ziehe ich meine Spuren durch tiefen Schnee. Die Sicht ist mäßig – ringsum nur eine konturlose Schneelandschaft. Ich begegne zwei Norwegerinnen und einem einzelnen Norweger. Ansonsten bin ich allein. Auch am Hellevatnet, über den der Wind mit steigender Kraft aufkommenden Schneefall treibt. Oberhalb des Sees schlage ich mein Zelt auf und verkrieche mich rasch darin. Als ich im Dunkeln nochmals heraustrete, steht umrahmt von Wolkenschlieren der fast volle Mond am Himmel.

Sonntag, 28. Februar – Am Morgen Windstille. Hartnäckig hält sich eine dünne Wolkenschicht, durch die die Sonne nur einmal kurz hervorblinzelt. Ich folge dem Store Urevatnet, mit den drei kleinen Bergen nordwestlich des Svervenuten als Landmarke. Der Schnee ist hier etwas fester und ich komme besser voran. Ins nächste Tal taste ich mich hinab – die Steilheit wird mal wieder von flachem Licht geschluckt und ist erneut kaum auszumachen. Unten angekommen, sehe ich entfernt drei Elche.

Montag, 01. März – Als ich mich aus dem Schlafsack schäle, herrschen minus 18,1 Grad im Zelt. Dafür ist der Himmel blau – Freudentanz. Rasch wird es in der Sonne warm und ich überquere den Gunleiksbuvatnet im Kvennedalen im Unterhemd. Kurz danach geht es 200 Höhenmeter steil bergan. In weiten Serpentinen steige ich hinauf zu den Seen östlich des Kringlesjånuten. Der Schnee ist wieder einmal tief und das Vorankommen mühsam. Erst die zerklüftete Seen- und Flusspassage hinab zum Skardvatnet bringt Abwechslung in einige Kilometer Monotonie.

Dienstag, 02. März – Noch kälter als am Tag zuvor ist es am Morgen im Zelt. Doch früh erwärmen die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages meine Unterkunft. Der schroffere Westteil der Hardangervidda liegt nun für ein paar Tage hinter mir. Vor mir breitet sich der weitläufigere Ostteil aus, durch den ich in Richtung Lågaros weiterziehe. Erst spät entdecke ich die Hütten, an denen ich auf ein paar Norweger stoße, die mit Skidoos von Mårbu kommend einen Winterwanderweg markiert haben. Auf meiner weiteren Route fehlen die Wegweiser jedoch immer noch. Bei guter Sicht kein Problem – auch ohne die in den Schnee gesteckten Bäumchen finde ich meinen Weg. Als ich Skjerhøl erreiche, steht die Sonne tief. Ich genieße das warme Licht bei zunehmender Kälte.

Mittwoch, 03. März – Es dauert ein wenig, bis die Sonne den Morgennebel durchdringt und auflöst. Doch dann kommt erneut die Wärme, die meinen Motor auf Touren bringt und mich am Melrakknutan entlang zum Geitvatnet stürmen lässt. Noch ist der Schnee fest, aber das ändert sich ab den Mittagsstunden und der weitere Weg durch das Geitvassdalen wird zunehmend anstrengender. Hinter den Ausläufern des Tjuvhyttnutan biege ich in nordwestlicher Richtung gen Rauhelleren ab und stecke in leicht ansteigendem Gelände nahezu fest. Schnell ist ein Name für diese Passage gefunden und ich taufe sie „Valley Of Deep White Shit“. Zur Abwechslung folgt auf die Peitsche allerdings bald ein Zuckerbrot: Ich stoße auf den frisch markierten Winterweg, der von Mårbu nach Rauhelleren führt. Über die feste Skidoospur gelange ich schnell zu der Hütte, die zu meiner Überraschung nicht verschlossen ist. Wobei, offiziell wird die DNT-Hütte Rauhelleren erst in zwei Tagen eröffnet – Hüttenwirtin Mona Lægreid ist gerade noch dabei, alles für die anstehende Wintersaison vorzubereiten. Eingeheizt hat sie jedoch bereits und ich darf eine Nacht bleiben – eine willkommene Abwechslung zu den eisigen Zeltnächten. Spät geht an diesem Abend die Sonne hinter dem markanten Gipfel des Hårteigen unter, der weit entfernt hinter dem Langesjøen aufragt.

Donnerstag, 04. März – Ungern verlasse ich den heimeligen Aufenthaltsraum der Rauhelleren-Hütte, in dem ein knisterndes Kaminfeuer wohlige Wärme ausstrahlte. Doch ein neuer Sonnentag erleichtert den Aufbruch. Ich fühle mich frisch und laufe geschwind in drei Stunden bis Stigstuv, wo die Eingangstüre jedoch noch mit Holzbrettern verrammelt ist. Weiter ziehe ich durch das Stigstudalen, bis ich oberhalb der Bjoreidalshytta mal wieder mein Zelt aufschlage. Am Abend fällt die Temperatur rasch – schon bevor ich mich in den Schlafsack verkrieche, zeigt das Thermometer unter minus 20 Grad an. Frostig!

Freitag, 05. März – Am Morgen Ernüchterung: Wind, Schneefall und kaum Sicht. Nach dem Frühstück bleibe ich im Zelt liegen und warte ab – vielleicht bessert sich das Wetter im Laufe des Tages. Langsam wird es immer wärmer und das Zelt zur Tropfsteinhöhle. Die in der Nacht am Innenzelt gefrorene Atemluft taut auf und fällt in dicken Tropfen auf mich herab. Wind und Schneefall lassen allerdings erst spät nach – ein Aufbruch am heutigen Tag lohnt nicht mehr. Lieber gönne ich mir einige Ruhe und erfahre mal wieder, wie schnell ein ganzer Tag mit Nichtstun vergeht. Am Abend überspannt ein Sternenhimmel meinen Lagerplatz. So ungemein funkelnd, wie es nur der klare Nordlandhimmel ans Firmament zaubern kann.

Samstag, 06. März – Das schlechtes Wetter noch schlechter werden kann, sehe ich heute. Oder besser gesagt: Ich sehe so gut wie nichts. Die Wolken liegen so dicht auf der Landschaft, dass sich der Übergang zwischen Himmel und Erde aufzulösen scheint und alles zu einem einzigen Raum ohne jegliche Kontur verschmilzt. Ein White-Out erster Güte. Trotzdem laufe ich einige Kilometer weiter, hangel mich von Wegmarkierung zu Wegmarkierung – der ich jetzt auch hier folgen kann –, bis ich auf die Straße stoße, die von Haugastøl nach Eidfjord über die Hardangervidda führt. Die Dyranut Fjellstova ist noch verschlossen und ich warte im Windschatten des großen Gebäudes ab. Immer wieder kommen Räumfahrzeuge vorbei, um die Straße freizuhalten. Das nützt mir nur wenig – ich brauche bessere Sicht für den Weiterweg zur Kjeldebu. Doch daraus wird nichts. Also bleibe ich vorerst im Zelt neben der Dyranut Turisthytta. Die Straße nur einen Schneeballwurf entfernt.

Sonntag, 07. März – Noch immer mieses Wetter. Warm und feucht. Kein Schnee, eher Regen. Trotzdem ziehe ich weiter. Noch länger warten, hat keinen Sinn. Bis ich schnellen Schrittes am Dyranutane und dem Søre Gjerenuten vorbei bin, hat die nasse Luft von außen und triefender Schweiß von innen meine Kleidung durchfeuchtet. Doch bevor es steiler in Richtung Kjeldebu hinab geht, hebt sich die Wolkendecke. Die Sicht wird besser, der Niederschlag ebbt ab. Als ich die Hütten erreiche, zeigen sich gar Flecken blauen Himmels. Ich genieße den Weg entlang des Langavatnet bis zum Finnsbergvatnet, auch wenn mir das hügelige Terrain weiterhin den Schweiß in die Klamotten treibt, die am Abend eine gehörige Portion Feuchtigkeit innehaben. Egal, der Schlafsack lockt als Trockenraum. Spät kommt noch die Sonne. Und stärkerer Wind, der mich nach einem anstrengen Lauftag fix ins Zelt treibt.

Montag, 08. März – Eine windige Nacht und ein windiger Tag. Sonne am Morgen, später feuchter Schnee und dunkle Bewölkung. Über den Midnutvatnet laufe ich dem Hardangerjøkulen entgegen, unterhalb des Søre Kongsnuten vorbei und weiter zum Finsevatnet. Ich erreiche den See, auf dessen anderer Seite die Bahnlinie Oslo-Bergen verläuft. Böen wirbeln Schnee auf – wenig einladend erscheint mir die Winterwelt für ein letztes Zeltlager. Spontan laufe ich hinüber zur Finsehytta, der Unterkunft des DNT. Nach elf Tagen empfängt mich dort ein Matratzenlager, in dem ein leuchtendes Notausgangsschild in der Nacht den Raum erhellt. Dafür ist es Windstill und kein noch so geringer Hauch rüttelt am Zelt. Nach der Zeit in wilder Einsamkeit ist der Schlaf ruhig und erholsam.

Dienstag, 09. März – Bis ich mit dem Nachtzug zurück nach Oslo fahre, ist noch Zeit. Daher starte ich nach einem üppigen Frühstück mit zwei Deutschen, die in den letzten Tagen von Ustaoset hierher gewandert sind, zu einer Tagestour gen Hardangerjøkulen. An der Appelsinhytta machen wir eine erste Rast. Ein paar Flocken wirbeln umher, dann klart es wieder auf. Wir laufen hinüber zum Blåisen und stehen ganz dicht vor der zerfurchen Gletscherwelt. Näher am Søre Kongsnuten ist der Eisausläufer fest verschneit und wir steigen über ihn dem Plateau des Hardangerjøkulen ein Stück entgegen. Nicht weit, aber genug, um einen Eindruck des weitläufigen Gletschers zu gewinnen. Staunen ob der geschwungenen Sanftheit bis zum Horizont. Über den Nordre Kongsnuten gelangen wir steil hinab wieder zurück zur Appelsinhytta und retour nach Finse. Als Sonne und Tageslicht verschwunden sind und erneut Wind und Schneefall Platz gemacht haben, sitze ich in der Sauna des Hotels Finse 1222. Trotz beklemmender Hitze ist die weiße Weite in meinen Gedanken noch immer allgegenwärtig.

Die Route
Haukeliseter Fjellstue – Hellevatnet – Kvennedalen – Skardvatnet – Lågaros – Geitvassdalen – Rauhelleren – Stigstuv – Dyranut – Kjeldebu – Finnsbergvatnet – Finse

> Rauhelleren – DNT-Hütte mit Ausblick (über meine Nacht in der Rauhelleren-Hütte)

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1 Kommentar Neuen Kommentar hinzufügen

  1. nico sagt:

    Ein toll geschriebener Bericht und super Fotos auf Flickr! Ich kenne die Vidda zwar nur vom Sommer, aber Deine Bilder bestärken mich in meinem Gedanken „Da muss ich auch mal im Winter hin!“ :)

    Weiterhin alles Gute!
    Nico

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