Nach unserer ersten kleinen Radreise in den Niederlanden wollte ich sobald wie möglich ein weiteres Bikepacking-Abenteuer in Angriff nehmen. Ich war angefixt, mit dem Gravelbike mehrere Tage über Stock und Stein durch die Lande zu radeln und Neues zu entdecken. Ausgeguckt für eine nächste Tour hatte ich mir dafür schon vor längerer Zeit die Eifel-Höhen-Route.
Die Beschreibung klang verlockend: „Entlang der 230 Kilometer langen Radtour erleben Sie Landschaften, die abwechslungsreicher nicht sein können! Der Charme rauer Felsformationen und der Reiz von Wasserlandschaften mit zahlreichen Flussläufen und Talsperren begleiten Sie rechts und links des Weges. Die Route führt Sie durch die majestätischen Buchenwälder des Nationalparks Eifel, idyllische Natur und zu atemberaubenden Panoramaausblicken.“
Auf der offiziellen Infoseite ist die anspruchsvolle Runde in vier Etappen aufgeteilt. Ich wollte es allerdings sportlicher angehen und die Vielseitigkeit der Eifel in nur zwei Tagen erleben. Bei dieser Herausforderung war klar, dass ich die verschiedenen Sehenswürdigkeiten der Region – ob römische Relikte, historische Ortskerne, Wildgehege, Besucherbergwerke, Museen, Klöster oder Burgen und Schlösser – nicht nebenbei auch noch alle würde entdecken können. Sicherlich wäre ich mit der reinen Radelei genug beschäftigt. Immerhin konnte ich mit meinem Gravelbike aber der Empfehlung folgen, ein geländegängiges Rad zu nutzen.
Um loszuradeln, brauchte es im aufkommenden Herbst nur noch ein kleines Fenster guten Wetters. Als das Mitte der vergangenen Woche aufgestoßen wurde, belud ich meinen Drahtesel mit dem Nötigsten und machte mich frühmorgens mit der Bahn von Wuppertal über Köln auf nach Mechernich, wo ich vorhatte, in den Radweg einzusteigen.

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Tag 1
Während der Hinfahrt erwachte der Tag und es wurde langsam hell. Als ich in Mechernich aufs Rad stieg und losfuhr, stand die Sonne ein Stück über dem Horizont. Im Gegenlicht war es schwierig, die Ausschilderung der Route zu erkennen. Doch in der Kühle des Morgens war das ein fast vernachlässigbares Unterfangen. Niedrig einstellige Temperaturen ließen mir die Kälte in die Finger schießen und mir wurde prompt bewusst, was ich vergessen hatte: warme Handschuhe! So verging die erste Stunde etwas krampfhaft, bis die Kraft der Sonne gegen halb Zehn etwas zugenommen hatte und mein Radlerleben langsam angenehmer wurde. Unverdrossen genoss ich dabei den Morgennebel in den Tälern und konnte bald sogar die Windjacke abstreifen.
In Keldenich veräppelte mich dann zum ersten Mal die Ausschilderung und ich fuhr etwas hin und her, schaute mehrmals auf die Karten auf meinem Mobiltelefon, bis ich weiter auf dem rechten Weg fortfahren konnte. Entlang der Urft gelangte ich nach Nettersheim, hinter dem bald die erste längere Gravelpassage auf mich wartete. Recht flach aber etwas ruppig strampelte ich zügig gen Blankenheim-Wald. Gut durchgewärmt konnte ich mich nun auch noch meiner Windweste entledigen – langsam wurde es beinahe spätsommerlich.
In einem Auf und Ab ging es über das Blankenheimerdorf weiter nach Blankenheim, wo mir bald darauf der gröbste Verhauer des Tages unterlief. Der Wegweiser zeigte für mich eindeutig auf einer alten Römerstraße hinein in einen Wald. Geschwind schlug ich die Richtung ein, nur um bald festzustellen, dass die Markierung der Eifel-Höhen-Route im weiteren Verlauf verschwunden war. Ich fuhr zurück, dann doch wieder und noch weiter in den Wald. Irgendwann wurde es mir dann doch zu bunt, ich verglich Karten mit Routenskizzen auf dem Telefon und kam zu dem Schluss, dass das hier falsch sein musste. Also mit Vollgas retour – etwas zu schnell, was Kraft kostete. Anhand der Karten hangelte ich mich ein kurzes Stück an einer viel befahrenen Bundesstraße entlang, bis ich vor Mühlheim wieder auf die vermisste Ausschilderung stieß. Ca. 5 km hatte mir diese Fehlfahrt zusätzlich eingebracht. Lästig, aber immerhin hatte ich nochmal die Kurve gekriegt, ohne vollends im Nirgendwo zu verschwinden …
Hinter Mühlheim sauste ich hinab zum Mülheimer Bach, nur um dahinter sofort in einen steilen Anstieg einzubiegen, der mir auf grobem Untergrund die Nutzung des ersten Ganges aufzwang. Verbissen und zunehmend keuchend ackerte ich mich zurück in höhere Lagen, wo sich weite Panoramablicke offenbarten und für Entschädigung sorgten. Ich machte eine weitere Pause und verschlang ein paar Snack-Möhren, Nüsse und Schokoriegel. Noch hatte ich nicht einmal die Hälfte der Tagesetappe hinter mich gebracht.
Als nächstes ging es zuerst hinab und dann vorbei am Freilinger See, durch eine Baustelle schiebend hoch nach Lommersdorf und weiter über die Höhenzüge der Eifel bis ins Ahrtal. Das stete rauf und runter war pure Abwechslung, genauso wie der immer wiederkehrende Wechsel zwischen Asphaltstrecken und Schotterpisten. Die Straßen meistens schmal, die Waldwege breit.
Von der Ahrhütte zog die Strecke empor nach Dollendorf, nur um dort sofort wieder abzubiegen hinunter ins Tal des Lampertsbach. Auf wunderschöner Route ging es fortan mehrere Kilometer zuerst auf der Schatten-, dann auf der Sonnenseite durch das Tal nach Alendorf. Zu Füßen der alten Kirche machte ich eine verdiente längere Rast auf einem Hügel und ließ meinen Blick schweifen über die umliegenden Wacholderheiden.


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Mittlerweile spürte ich die Anstrengungen des Tages bereits ganz gut in den Oberschenkeln. Das Radeln mit Gepäck forderte einiges mehr an Einsatz, als ich es von Tagesausflügen gewohnt war. Bei der Weiterfahrt durch Ripsdorf und zur Ahrmühle versuchte ich deshalb so gut es ging, mit meinen Kräften hauszuhalten, doch der folgende Anstieg gen Walldorf und darüber hinaus war zäh. Aber noch immer lag ein gutes Stück bis zu meinem Tagesziel vor mir. Also hieß es weiter, immer weiter. Über kahle Höhen und durch dichte Wälder. Rasant hinab nach Dahlem und vorbei an der Dahlemer Binz, hinter der es schließlich hinaufgehen sollte zu den höchsten Punkten der gesamten Radroute.
Natürlich ging es zuvor nochmals ein Stück bergab, bevor es dann auf teilweise ruppigen Waldautobahnen endgültig weit bergauf ging zwischen dichtem und dunklem Grün. Ich wähnte mich fernab der Zivilisation und biss mich an einer steilen Rampe über groben Schotter fast im Lenker fest, um auch dieses Hindernis zu meistern. Reste von Baumfällarbeiten säumten den Weg, die Sonne war längst von Wolken verdrängt und eine zunehmende Düsternis legte sich über die Natur. Mir fröstelte.
Angekommen in der Höhe, raus aus dem Wald und zurück auf einer Straße, fuhr ich von Neuhaus geschwind nach Udenbreth. Nun war es nicht mehr weit zu meinem anvisierten Nachtlager und trotz aller kräftezehrenden Kilometer lag ich gut in der Zeit. Daher nahm ich spontan noch den kurzen Abstecher zum Weißen Stein, einem etwa 690 m hohen deutsch-belgischen Grenzberg im Zitterwald in der Nordeifel, unter die Räder. Kühle Luft zog um den dortigen Aussichtsturm und es hielt mich nicht lange dort. Lieber stürzte ich mich dann doch bald hinab ins Prether Bachtal, wo ganz versteckt der Zeltplatz Oberprether Mühle liegt. Völlig durchgefroren kam ich dort nach knapp 109 km an – fast eine Punktlandung, hatte ich den Ort für meine Nacht doch auf etwa die Hälfte der Strecke geschätzt.
Zu meinem Glück lugte noch einmal kurz die Sonne hervor und ich konnte in ihren letzten warmen Strahlen mein Zelt zwischen zahlreichen Zapfen unter einem dicken Nadelbaum aufschlagen. Als es bald darauf schattig wurde, erfreute ich mich an einem heißen Instant-Kaffee, löffelte ein schmackhaftes Chicken Tikka Masala aus der Tüte und schloss mit einem Limonen-Tee ab. Ich sah den Tag vergehen und kroch kurz nach Einbruch der Dunkelheit in den kuscheligen Schlafsack. Von wohligen Daunen umschlossen, ließ ich den langen Tag samt seiner über 1.400 Höhenmeter nochmal Revue passieren, bis mich der Schlaf überkam.


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Tag 2
Gegen halb Sieben schälte ich mich aus dem Schlafsack. Zwei Kaffee und ein paar Kekse dienten als Frühstück. Dann packte ich zusammen und machte mich bei erneut garstig frischen Temperaturen wieder auf den Weg. Im Nu waren meine Finger mal wieder erstarrt und ich musste ein paar Mal anhalten, um die Arme wild zu schwenken und das Blut zurück in die Hände zu treiben. Daher war ich heilfroh, als ich kurz vor Hellenthal aus dem düsteren Tal rauskam und mich die ersten Sonnenstrahlen erwischten. Hach, wie fein konnte das eingefrorene Fahrradleben auf einmal wieder sein.
Aufgetaut wurde es hinter Hellenthal entlang der Oleftalsprerre noch schöner. Nebelschwaden stiegen über dem Wasser auf und wirkten wie Vorboten eines herrlichen Tages. Doch erst einmal musste ich mich nach halber Umfahrung des Gewässers wieder einmal in höhere Lagen emporschwingen. Der erste Gang wurde hinauf zur Monschauer Straße erneut mein bester Freund, doch danach konnte ich immerhin Halstuch, Mütze und Windjacke in Radtaschen und Rucksack verschwinden lassen.
Eine Baustelle ließ mich kurz darauf allerdings den korrekten Abzweig zurück in den Wald verpassen. Wahrscheinlich war das Schild vorübergehend einfach abgebaut. Zum Glück bemerkte ich den Fauxpas bald und fand den Weg ins Grün auch so. In unmittelbarer Nähe zur belgischen Grenze folgte einer der schönsten Abschnitte – auf guten Waldwegen ging es im Naturschutzgebiet Perlenbach-Fuhrtsbachtal abwechselnd zwischen mal dichtem Baumbestand und mal lichteren Abschnitten tendenziell abwärts und ich konnte es vielfach schön rollen lassen. Aber derartigem Vergnügen folgte der nächste fiese Anstieg selbstredend auf dem Fuße. Rauf nach Kaltenherberg kam ich ins Schwitzen. Und einmal angekommen, fehlte die Beschilderung bzw. war verwirrend angebracht. Ich fuhr zweimal ein kurzes Stück falsch, bis mich mehrere Blicke auf die verschiedenen Karten und Routenbeschreibungen auf meinem Telefon wieder den richtigen Weg einschlagen ließen (in Zukunft wäre es wohl doch bald mal angebracht, mit einem „richtigen“ Radcomputer samt Navigationsfunktion und Kartenwerk zu starten als nur mit einem schnöden Tacho und Kilometerzähler und dazu dem Mobiltelefon in der Hosentasche …).
Nun, ich fand auch so zur Rur, an der entlang es von hier für gute 20 km erstmal nahezu nur bergab gehen sollte – wie angenehm. Allerdings ging in Monschau ein Kulturschock einher. Nach der vielen Zeit in einsamen Waldgebieten, auf menschenleeren Höhenzügen und in wie ausgestorben wirkenden Dörfern, war die Durchfahrt der Monschauer Altstadt mit ihren Fachwerkfassaden auf engen gepflasterten Gassen, wo sich urplötzlich Menschenmassen tummelten, ungewohnt und nicht gewollt. Ich sah zu, so schnell wie möglich hindurchzukommen und danach weiter entlang der Rur der Eifeler Seenplatte entgegen zu radeln. Wald- und Radwege, Sträßchen und Schotterpisten gaben sich bis dorthin die Klinke in die Hand und sorgten mal wieder für pure Abwechslung.

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In Einruhr hatte ich bereits 60 km an diesem Tag zurückgelegt und mittlerweile war die morgendliche Kälte mittäglicher Wärme gewichen. Ich gönnte mir eine etwas längere Pause, nach der ich allerdings Mühe hatte, wieder Tritt zu fassen. Vorbei am Obersee waren die Beine schwer und ein paar kurze, aber giftige Zwischenanstiege in Rurberg und Woffelsbach waren fordernd. Dahinter wurde es entlang des Rursees allerdings recht genussreich. Gravel pur mit steter Aussicht über das mit Segelbooten gespickte Gewässer. Herrlich.
Die Kilometer purzelten und ich erreichte bald darauf Heimbach. Unterhalb der Burg Hengebach versperrte eine Baustelle den Weg und ich musste mein beladenes Rad eine Treppe hochwuchten. Aber egal, das war nur ein kleiner Akt gegenüber dem, der noch folgen sollte. Hinter Heimbach ging es mal wieder hinein in ein Waldgebiet und nochmals aus den Tiefen der Gewässerlandschaften hinauf auf einen Höhenrücken. 200 Höhenmeter schraubte sich der Weg empor, der mal wieder den ersten Gang und ordentlich Druck auf den Pedalen erforderte. Auf halber Strecke überholten mich zwei E-Biker – immerhin reckte einer den Daumen zu Anerkennung in die Höhe. Mir waren die Zwei auch so Ansporn genug, es aus eigener Kraft bis ganz nach oben zu schaffen. Schließlich gehört die Qual auf dem Rad dazu. Das Leid, wenn die Beine eigentlich nicht mehr wollen und der Kopf bestimmen muss, dass es doch noch weiter geht.
Nach dem Anstieg hatte ich gedacht, das gröbste endgültig geschafft zu haben. Bis Mechernich schien es nicht mehr weit. Doch die Höhen-Route machte ihrem Namen alle Ehre und baute auf einigen Schlenkern noch ein paar knackige Rampen ein. Hinter Düttling führte der Weg zwischen Feldern hindurch über Voissel nach Wallenthal. Ein hügeliger Parcours, der mir fast noch den letzten Zahn zog – aber genauso immer wieder ein Lächeln ins Gesicht zauberte
Aber all das Unvorhergesehene gehört zu einem richtigen Abenteuer schließlich dazu. Als ich an diesem Tag nach guten 114 Kilometern samt weiteren über 1.200 Höhenmetern um kurz vor 18 Uhr in Mechernich am Bahnhof vorfuhr, war ich glücklich und zufrieden. Die Runde durch die Eifel bot alles, was sie versprochen hatte. Vielfalt und Herausforderung in allen Belangen. Kaum Verkehr, einsame Natur, schnellen Asphalt, rauen Schotter, Wald und Weite, kraftraubende Anstiege und rasante Abfahrten.
Die Eifel-Höhen-Route war so berauschend, dass die Erlebnisse verschwimmen. Sicherlich werde ich im nächsten Jahr wiederkommen und die Rundtour noch einmal unter die Räder nehmen, so schön war es!
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