Radfahren

Der Kölnpfad – Eimol öm Kölle röm

Der Kölnpfad – Eimol öm Kölle röm, Foto: Martin Hülle

Nachdem ich mir im März ein Gravelbike angeschafft hatte und mein Radfahrerleben neuen Schwung erlebte, stieß ich bald darauf im Magazin GRAVEL Touren auf eine Reportage über den Kölnpfad – einen stadtnahen Wanderweg, der, so beschrieben, höchst abwechslungsreich einmal rund um die Domstadt führt. Da er technisch wenig anspruchsvoll wäre, ließe sich die vielseitige Landschaft entlang der Route auch bestens mit einem Schotterfahrrad erkunden. Ich war sofort angefixt, den über Wald-, Feld und Asphaltwege führenden Rundkurs, der über mehr als die Hälfte der Strecke über unbefestigten Untergrund verlaufen würde, selbst einmal unter die Stollenräder zu nehmen und visierte den Kölnpfad als Ziel für eine Tagestour an. Einziger Haken: Die Streckenlänge bemisst sich auf gut 159 Kilometer zuzüglich eventueller Ein- und Ausstiegspassagen, weswegen die Runde oft auch mit 171 km angegeben wird. Es galt also, das Jahr über zuerst noch ordentlich zu trainieren, bevor ich zum Großstadt-Gravel aufbrechen und „Rund um Köln“ realistisch in Angriff nehmen konnte.

Ende voriger Woche, am letzten Septembertag, war es dann soweit. Ich fühlte mich endlich bereit, mich in dieses lange Abenteuer zu stürzen, bevor die Tage für ein derartiges Unterfangen bald sicherlich zu kurz werden würden. Also nahm ich einen frühen Zug nach Köln, stieg um kurz nach Sieben am Bahnhof Köln Messe/Deutz aus und radelte im Morgengrauen erstmal gut drei Kilometer nordwärts bis zur Mülheimer Brücke. Dort stieß ich auf den Kölnpfad und es ging von hier an so richtig los, ab jetzt immer der Ausschilderung mit weißem Kreis auf schwarzem Grund folgend. Zuerst weiter rechtsrheinisch am großen Fluss entlang, vorbei am Schlosspark in Stammheim mit seinen Skulpturen, wo ich mich daran erfreute, das Erwachen des Tages hautnah zu erleben. Was allerdings ein nicht nur schönes, sondern auch arschkaltes Erlebnis war, denn in den frühen Stunden hielt sich die niedrig einstellige Temperatur hartnäckig. Im Dünnwald war es dafür trotz allem herrlich anzusehen, wie die noch tiefstehende Sonne durch die Bäume brach und den Morgennebel auf dem Wasser des Von-Diergardt-Sees durchflutete.

Es folgte ein Zick und Zack durch den Diepeschrather-, Thurner- und Gierather Wald über Schotterpisten, Singletrails und Waldautobahnen. Mal musste ich unter umgestürzten Bäumen hindurch, dann über andere hinübersteigen. Hinter Lückerath und der Grube Cox warteten bald darauf die einzigen ernst zu nehmenden Höhenmeter des gesamten Rundweges. Auf schmalem Pfad ging es zwischen Brennnesseln und Elektrozaun an Kuhweiden vorbei empor gen Breite. Über drei Stunden war ich bereits unterwegs und hatte noch nicht einmal 40 Kilometer geschafft. Dafür war es mittlerweile so warm geworden, dass ich mich der Windjacke, langer Handschuhe und der Mütze unter dem Helm entledigen konnte. Doch unter die Schönheit des Tages mischte sich die zunehmend aufdringliche Unsicherheit, ob ich das ganze wohl schaffen würde …

Zweifel am Monte Troodelöh

Hinter Breite passierte ich den höchsten Punkt des Kölnpfades, allerdings in Bergisch Gladbach gelegen, bevor es ausnahmsweise zuerst mal teils steil hinab in ein Loch ging, aus diesem jedoch umgehend kurz aber knackig wieder hinaus, gefolgt von weiteren Abfahrten und dann einer Kraxelei samt einer steilen Treppe hoch nach Bensberg. Schiebe- und Tragepassagen inklusive. Schloss Bensberg würdigte ich aber kaum eines Blickes, denn die Zeit fing an zu drängen. Lieber sah ich zu, den Königsforst zu erreichen, um dort die höchste Erhebung Kölns zu erklimmen, den Monte Troodelöh. Auf stolzen 118,04 Metern über dem Meer klebt der Gipfelfindling an einem ansteigenden Hang, denn der eigentliche Gipfel am Wolfsweg, der Große Steinberg, liegt noch zwölf Meter höher, jedoch nicht mehr auf Kölner Stadtgebiet. Erst 1999 wurde der Monte Troodelöh durch die Mitarbeiter der Stadtverwaltung Troost, Dedden und Löhmer „entdeckt“ und fortan nach ihnen benannt. Dass der in dichtem Wald gelegene Punkt keinerlei Aussicht bot, war mir einerlei. Mittlerweile war es bald Mittag, der Tacho zeigte weiterhin noch nicht einmal 50 km an und ich hatte somit andere Sorgen. Bei meinem bisherigen Tempo würde ich es niemals schaffen, die gesamte Strecke vor Einbruch der Dunkelheit zu absolvieren. Kurz keimte der Gedanke an einen Abbruch in mir auf. Aber dem gegenüber stand mein Ehrgeiz. Denn noch könnte ich es schaffen. Von nun an würde es für den Rest des Tages mehr oder weniger flach dahingehen und ich sollte zügiger vorankommen. Und wenn ich auf Fotostopps verzichten und die Häufigkeit der Pausen reduzieren würde, dann könnte es gerade noch gut gehen. Also machte ich nur geschwind ein „Gipfelfoto“ und schwang mich umgehend wieder aufs Rad.

Durch das ausgedehnte Königsforster Waldgebiet sauste ich Richtung Wahner Heide mit ihren Wiesen-, Moor- und Heidegebieten. Ich machte Boden gut, duckte mich unter Flugzeugen hinweg, die den nahen Köln-Bonner Flughafen ansteuerten, und strampelte so schnell es ging über ruppige Feldwege, bis ich im Ortsteil Lülsdorf um kurz nach 13 Uhr und nun ca. 74 zurückgelegten Kilometern wieder den Rhein erreichte. Die Hälfte des zur Verfügung stehenden Tageslichts war verstrichen, aber noch nicht die Hälfte des Weges. Dennoch war ich jetzt zuversichtlicher als noch im bergigeren Gelände zuvor.

Die Kölsche Riviera und der Grüngürtel

Die folgenden 15 Kilometer bis zur südlichsten Rheinbrücke Kölns gab ich Gas. Und traf hier die Entscheidung, die Rheinseite zu wechseln und auf Gedeih und Verderb das Ding zu Ende zu fahren, was auch immer noch kommen möge. Also schwupps rüber nach Rodenkirchen mit seinen noblen Villen und dem Sandstrand. Doch die „Kölsche Riviera“ ließ ich genauso links liegen wie das beliebte Ausflugslokal die „Alte Liebe“. Erst im Friedenswald mit seinem Forstbotanischen Garten machte ich bei Kilometer 102 den nächsten Stopp, bevor ich kurz darauf drin war im Grüngürtel, der sich halbkreisförmig um Köln legt. In einem kreuz und quer ging es durch Parkanlagen weiter, am Decksteiner- und Adenauer-Weiher vorbei und zwischen unzähligen Joggern, Spaziergängern und Ausflüglern hindurch. Dabei fühlte ich mich wie auf der Radrennbahn der Deutschen Sporthochschule, über dessen Gelände der Weg führt. Nur war mein Rennen weiterhin eines allein gegen die Zeit. Dabei war es allerdings nicht von Vorteil, dass ich hier und da immer mal wieder die Wegzeichen suchen muss, die nicht immer im Vorbeirauschen aus den Augenwinkeln zu finden waren, oder mich Straßenübergänge und Ampeln ausbremsten und zum Stillstand zwangen.

Eigentlich hatte ich gedacht, spätestens nach 130 km wieder zu pausieren, doch die Zeit drängte nach wie vor unaufhörlich und ich trieb mich deshalb immer weiter voran. Erst zurück am Rhein wollte ich nun noch ein letztes Mal anhalten. Stillstand musste warten, es rief der Kölner Norden. Die Sonne senkte sich bereits wieder hinab, während ich an Badeseen vorbei und zwischen Pferdekoppeln hindurch Feldwege und Waldtrails unter die Räder nahm. Aber immer dann, wenn es auf gutem Grund mal lief, wurden mir kurzerhand auch wieder Steine in den Weg gelegt. Ob im wahrsten Sinne des Wortes durch grobes Kopfsteinpflaster oder rumpelnde Pfade. Doch nichts konnte mich mehr aufhalten, bis ich die Rheinauen bei Worringen erreichte und auf einem Hochwasserdamm nach 145 km noch einmal mein Rad an einer Bank anlehnte.

25 Kilometer Endspurt

Ich knabberte das letzte Stück Möhre, aß noch ein paar Nüsse und zwei Riegel und spülte alles mit ein paar Schluck Wasser hinunter. Dann verschwand die Sonnenbrille im Rucksack und ich fuhr südwärts über den Deich der City entgegen. Bald musste ich das Licht einschalten, denn die Dämmerung rückte unweigerlich näher. Zum Glück war mein Tank konditionell noch immer gut gefüllt und ich sah zu, weiterhin fix Kilometer um Kilometer von der nicht enden wollenden Rundtour abzuknabbern. Vor Merkenich ging es noch einmal ins Landesinnere, am Fühlinger See vorbei und durch letzte Waldpassagen. Schließlich erreichte ich Niehl und war wieder zurück am Rhein. Und spätestens hier wusste ich, dass der Drops gelutscht war. Ich fuhr über das Brückchen im Niehler Hafen und war bald darauf zurück an der Mülheimer Brücke, wo am Morgen alles begonnen hatte und sich der Kreis nun am Abend schloss und für mich das Kölnpfad-Lied der Bläck Fööss – „Eimol öm Kölle röm“ – tatsächlich Wahrheit wurde.

Als ich nach zwölfeinhalb Stunden, davon über zehn Stunden im Sattel, auch noch am Bahnhof Köln Messe/Deutz, meinem Ausgangspunkt, ankam und das letzte Mal vom Fahrrad stieg, zeigte der Zähler satte 170 Kilometer an. Während der langen Zeit und der langen Strecke war ich an Industrie, Autobahnen und Bahngleisen entlang geradelt, hatte historische und kulturelle Denkmäler passiert und Kirchen wie Schlösser an mir vorbeiziehen lassen. Doch über allem stand die Natur mit ihren Wäldern, Wiesen und Feldern, den Parklandschaften und Freizeitgebieten.

Ich war froh, nicht aufgegeben und den Wettlauf gegen die Zeit angenommen zu haben. Auch wenn dadurch der Genuss etwas auf der Strecke geblieben war und ich immer zusehen musste, Kilometer zu machen. Aber was am Ende vor allem zählte, war das glückliche und wohltuende Gefühl, es geschafft zu haben. Meine sicherlich längste Gravel-Tour des Jahres.

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