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Islands höchster Gipfel – Eine Besteigung des Hvannadalshnúkur

Hvannadalshnúkur, Island, Foto: Martin Hülle

Im Mai 2010 habe ich an einer Pressereise nach Island teilgenommen, in deren Verlauf wir auch den Hvannadalshnúkur bestiegen, den höchsten Gipfel der Insel. Dies ist das Protokoll der Besteigung – in Worten und Bildern.

Die Besteigung des Hvannadalshnúkur beginnt am verlassenen Bauernhof Sandfell. Inmitten von 150 Bergfreunden stehe ich um 5 Uhr morgens auf einem Parkplatz an der Ringstraße. Unter dem Motto “Gipfelsturm mit 66°North“ wollen alle den höchsten Punkt von Europas größtem Gletscher erklimmen – den Hvannadalshnúkur im Süden des Vatnajökull. Nach Leistungsstärke werden kleinere Gruppen gebildet, denen jeweils ein Mountainguide zugewiesen wird, die von nun an das Tempo und die Richtung bestimmen. Vor uns liegen über 2.000 Höhenmeter im Auf- und Abstieg. Dazu eine Wegstrecke von mehr als 25 Kilometern. Ein langer Tag steht uns bevor.

Das Wetter ist trist an diesem Samstag. Tiefhängende Wolken, Nieselregen. In langer Schlange steigen wir über steile Geröllhänge hinauf. Unser Guide Gísli gibt letzte Informationen. Nebel verschluckt uns, die Szenerie ist wild. Von Moosen überzogenes Geröll, schroffe Felsabstürze. Die feuchte Luft legt sich auf unsere Kleidung und über die Gesichter. Schweißvermengt. Nach einer Stunde ein letzter Bach, so klar, dass wir die Trinkflaschen hineinhalten und den Durst in großen Schlucken stillen.

Doch der Wettergott meint es gut mit uns an diesem Tag – auf etwa 1.000 Meter Höhe durchbrechen wir die Wolkendecke. Wir erreichen das Ende des dunklen Gerölls und betreten die ersten hellen Schneeflecken, die nahtlos übergehen in die spaltigen Ausläufer des Öræfajökull, einem mächtigen und vergletscherten Zentralvulkan am Südrand des Vatnajökull, aus dem der Gipfel des 2.110 m hohen Hvannadalshnúkur hervorsticht. Doch entgegen des Eyjafjallajökull, der wenige Wochen zuvor Asche spuckte und die Welt in Atem hielt, ist der Öræfajökull ruhig und still. Im Moment, denn die unter dem Gletscher liegenden Vulkane Grímsvötn und Bárðarbunga gehören zu den aktivsten der Insel.

Am Rand des Eises verbinden wir uns zu einer Seilschaft und setzen unsere Füße in den noch harten Schnee. Die Eiskappe erstreckt sich über 8.100 km² und nimmt etwa acht Prozent der Fläche Islands ein. Meter für Meter steigen wir einen langgezogenen Hang aufwärts und überqueren schmale Spalten im Schnee. Die Sonne brennt und in windstillen Momenten wird es unerwartet warm.

Bei blauem Himmel und in Sonnenschein getaucht, erstrahlt die Gletscherlandschaft in einem Licht, so hell, wie man es sonst nur aus dem Flugzeug kennt, das über einem Meer aus Wolken seinem Ziel entgegen fliegt. Nun ja, wir fliegen nicht, sondern stapfen Schritt für Schritt höher. Auf etwa 1.900 Meter Höhe erreichen wir die fünf Kilometer breite und etwa 550 m tiefe Caldera des Öræfajökull, aus der sich neun Talgletscher hinunter ins Flachland erstrecken. 14 Bergspitzen ragen am Rand dieses Kessels auf, alle über 1.500 m hoch, von denen drei zu den höchsten des Landes gehören. Der Hvannadalshnúkur liegt im nordwestlichsten Eck der Gipfelcaldera des Öræfajökull.

Über einige Kilometer geht es flach hinüber zum Gipfelaufbau des Hvannadalshnúkur, der das Plateau um gute 200 Höhenmeter überragt. Am Fuße des steilsten Stücks legen wir Steigeisen an und nehmen Eispickel in die Hände. Zwischen senkrechten Abbrüchen hindurch winden wir uns hinauf zum Gipfel. Um 14 Uhr stehe ich bei Windstille 2.110 Meter hoch auf dem höchsten Punkt von Europas größtem Gletscher.

Freude in den Gesichtern, Jubelschreie, Siegesposen. Zu unseren Füßen im Norden der Vatnajökull. Endloser Schnee, vereinzelt von Felsen durchbrochen. Wolkenfetzen und die zerrissenen Gletscher im Süden, die kilomerterlang hinab ins flache Land ziehen.

Nach einer Weile brechen wir wieder auf. Der Abstieg klappt dann allerdings auch nicht schneller als der Weg nach oben. Man kann sogar sagen, es zieht sich. Doch beflügelt von der gewaltigen Landschaft, des intensiven Erlebnisses, nehmen wir auch noch diese Hürde.

Wir genießen den Tag, das Wetter, das Hiersein. Auf dem Rückweg, am Rande der Caldera, entschwindet der Hvannadalshnúkur langsam unserem Blick. Doch einen Teil des Berges nimmt ein jeder von uns mit hinab. In seinen Gefühlen, im Herzen, in Gedanken. So überwinden wir den tiefer und tiefer werdenden Schnee, der von der Sonne aufgeweicht am Nachmittag mehr und mehr unsere Kräfte raubt. Selten ist das Wetter an diesem Ort so gut, wo auch im Sommer Schneefall und eisige Winde herrschen können.

Weiter unten tauchen wir wieder ein in die Wolken und den Nebel, lassen Schnee und Eis zurück, und steigen die letzten 1.000 Höhenmeter im Grau und Grün hinab. Nach 14,5 Stunden trudeln wir am Ausgangspunkt Sandfell ein. Eine warme Suppe erwartet uns dort, liebevoll serviert und dankbar angenommen am Ende eines langen Tages. Auch unser Guide Gísli ist müde. Bereits zum dritten Mal hat er nun den höchsten Berg seines Landes bestiegen. Doch wie für uns und die meisten seiner Landsleute, ist dieser Tag etwas ganz Besonderes, wird der Hvannadalshnúkur doch so oft von Wolken und Winden umtobt.

Das Trainingsprogramm „Gipfelsturm mit 66°North“ wurde vom Funktionsbekleidungshersteller 66°North und den Icelandic Mountain Guides ins Leben gerufen.

> Island (alle Beiträge im Blog)

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6 Kommentare Neuen Kommentar hinzufügen

  1. Jeriko sagt:

    Ein toller Bericht mit noch schöneren Fotos, vielen Dank! Leider kommt die Info für dieses Jahr ein bisschen spät … wie fit sollte man denn generell für eine solche Besteigung sein?

  2. @Jeriko
    Eine recht gute Fitness schadet nicht – umso mehr kann man das Auf und Ab genießen. Schließlich muss man ziemlich viele Höhenmeter rauf und wieder runter und auch einiges an Strecke zurücklegen.

    Und wenn man so richtig fit ist, dann kann man vielleicht versuchen, den Rekord anzugreifen. Der liegt, soweit ich weiß, irgendwo bei 2,5 Stunden für Auf- und Abstieg …

  3. Peter sagt:

    Sehr schöner Bericht, wir wollen dieses Jahr auch hoch. Der Bericht hilft uns schon mal, den Einstieg schnell zu finden.

    Frage: Ab wann musstet Ihr Steigeisen benutzen? Waren sie überhaupt notwendig? Wieviel Meter musstet Ihr in Steigeisen gehen? Wir haben ein 14-jähriges, gut trainiertes Mädchen dabei. Konntet Ihr andere Jugendliche beobachten?

    Vielen Dank für die Info.

    Grüße aus Kaiserslautern

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