Wandern

54.000 Meter zum Misserfolg

Rund um Ennepetal, Foto: Martin Hülle

Fünf Minuten. Nur fünf Minuten. Ich war zu langsam. Maximal zehn Stunden hatte ich mir zum Ziel gesetzt. Doch dann brauchte ich 300 Sekunden mehr – wie lächerlich … Es sollte ein „kleiner“ Leistungstest auf meiner Hausstrecke werden – dem 54 km langen Rundweg um Ennepetal. Oft bin ich ihn schon gelaufen. Ganze zehnmal bereits an einem Stück. Mal schneller, mal weniger schnell. Nie benötigte ich für die Strecke länger als zehn Stunden. Okay, zweimal war ich langsamer. Vor vielen Jahren mit einer größeren Gruppe und auch im letzten Jahr. Aber da wollte ich es ohnehin ruhiger angehen lassen. Zählt also nicht. Doch am vorigen Samstag sollte es mal wieder schnell gehen. Und ich fühlte mich gut, als ich um 07:30 Uhr am Schloss Martfeld in Schwelm losmarschierte. Aber schon der erste Pfad am Ortsrand – zwischen Pferdewiese und Feldern hindurch – war total matschig und von ausladenden Wasserlachen überspült. Noch in Dunkelheit versuchte ich einigermaßen trockenen Fußes voranzukommen. In diesem Moment ahnte ich nicht, dass die Bedingungen im Verlauf des Weges so schlecht sein würden wie niemals zuvor.

Dabei kam ich auf dem ersten Stück zügig voran. Am Bahnhof Ennepetal vorbei, über den Buchenberg, durch Meining- und Jellinghausen, um den Brahmskopf und unweit der Ennepetaler Sternwarte entlang zu den Flecken Hinterer Voßwinkel. Dort ging ein kurzer Hagelschauer nieder, der mich hinunter ins Haspertal begleitete. Die düstere Stimmung war aber nur von kurzer Dauer und nicht weiter der Rede wert. Stattdessen stürmte ich auf der anderen Talseite durch das Waldgebiet Ikshardt wieder hinauf. Der längste Anstieg der ganzen Runde. Mir wurde warm. Kurzerhand verschwand die Mütze in der Hosentasche.

Nach nicht einmal vier Stunden erreichte ich die Hasper Talsperre. Ich lag sehr gut in der Zeit. Ständig überschlug ich den weiteren Weg, den ich so gut kenne, und überlegte, wie lange ich wohl noch brauchen würde, welche Zeit am Ende herauskommen könnte. Irgendwas über neun Stunden. Aber bestimmt deutlich unter zehn!

Wasser marsch!
Doch dann, hinter der Talsperre, am Hasper Bach, wandelte sich das Blatt. Normalerweise lässt sich der einige Meter breite Wasserlauf hier über große Steinsbrocken, die eine Art Brücke bilden, problemlos überqueren. Doch jetzt stand alles unter Wasser. Etwas perplex betrachtete ich die Situation. Ich hatte nicht erwartet, entlang der Strecke auf ein unüberwindbares Hindernis zu stoßen. Mmh, was tun? Ich lief ein Stück bachaufwärts und schaute nach einem möglichen Übergang. Doch der Bach war zu breit, zu tief. Und ich hatte auch nur leichte Treter an – Gummistiefel wären angebracht gewesen. Im morastigen Wald holte ich mir direkt nasse Füße. Kalt lief mir das Wasser in die Schuhe. So ein Mist. Überhaupt, wo kam das ganze Wasser eigentlich her? Zurück zur eigentlichen Furt und dem steinernen Übergang. Kurz überlegte ich, barfuß den Bach zu queren. Oder einfach so hindurchzulaufen. Schuhe, Socken und Füße waren ohnehin schon nass. Doch dann lief ich noch ein Stück in die andere Richtung, den Rundweg wieder zurück. Und siehe da, da war eine Brücke. Vom Weg nicht direkt zu sehen – daher war sie mir vorher nicht aufgefallen. Allerdings führte sie ins Nichts. Egal. Auf der anderen Seite stand ich so zwar erstmal mitten im Unterholz, gelangte dank einer Kraxelei über umgestürzte Bäume aber wieder auf den rechten Weg. Juchu, geschafft! Nur hatte mich dieses Hickhack mindestens 15 Minuten gekostet. In die Freude, doch noch einen guten Übergang gefunden zu haben, mischte sich zum ersten Mal der Gedanke, am Ende vielleicht zu langsam zu sein …

Um die verlorene Zeit wieder rauszuholen, lief ich umso schneller weiter. Gut, dass ich bei dieser Tour Nordic-Walking-Stöcke dabei hatte. Mit Vierradantrieb läuft es sich einfach zügiger. Doch oft waren die Stöcke eher dazu da, mich auf dem vielfach extrem rutschigen Untergrund vor einem Sturz zu bewahren und auf den Beinen zu halten, als für zusätzliche Geschwindigkeit zu sorgen. Doch was nützte das alles? Am Sieper Bach das nächste Hindernis. Sonst mit einem großen Schritt zu queren, war hier erneut die Suche nach einem anderen Übergang angesagt. Ein Stück oberhalb fand ich ihn. Dazu eine unwegsame Hangpassage. Erneut ging kostbare Zeit flöten.

Mittlerweile lag die Hälfte des Weges hinter mir. Es folgte Peddenöde, Ennepetal-Burg, Filde. Stationen am Weg, der immer häufiger selber einem Bach glich. Oft war es kaum möglich, der Nässe zu entgehen. Und immer wieder schoss mir das kalte Wasser in die Schuhe. Ich überquerte die Bergisch-Märkische Landwehr, einen Wallgraben, der sich kilometerlang durch die Landschaft zieht. Dann ging es hinab zur Heilenbecker Talsperre. So langsam näherte sich der Endspurt.

Eine letzte Pause
Bevor ich die Spreeler Mühle erreichte, machte ich noch eine letzte Pause am Brebach. Kaum hatte ich den Rucksack abgesetzt, wurde es mal wieder finster und ein weiter Hagelschauer prasselte auf mich ein. Und dann ging er in Regen über – auch das noch. Einen Regenschutz hatte ich nicht dabei. Naja, meine knallgelbe Softshelljacke sollte ausreichend dicht sein. Jetzt sah ich mich schon den Rest des Weges mit der Nässe von unten und von oben konfrontiert, doch am Beyenburger Stausee hörte es wieder auf zu regnen. Die Wege hingegen blieben nass und matschig.

Als ich die Klosterkirche Sankt Maria Magdalena passierte, wurde mir klar, dass es mit den zehn Stunden wohl nichts werden würde. Dabei hatte ich nur vier Pausen gemacht. Die ersten beiden waren in je zehn Minuten erledigt, die dritte nahm 15 in Anspruch. Aber dann die vierte – 20 Minuten. Das war zu viel! Wäre nicht der Tee aus der Thermoskanne noch so heiß gewesen, ich wäre schneller wieder losgelaufen. Und wären die Wege nicht so schlecht gewesen. Nicht so rutschig. Und dann diese Bäche. Ich hätte es wohl wieder einmal geschafft. Eine Zeit unter zehn Stunden. Aber dieses Mal verpasste ich die mir selbst gesetzte Marke. Knapp. Sehr knapp.

Auf den letzten Kilometern zurück nach Schwelm wurde es dunkel. Die Stirnlampe ließ ich in der Jackentasche. Ich stolperte einfach weiter. Ohne Rücksicht auf die Matsche. Nur bedacht, nicht auch noch hinzufallen. Auf die Uhr blickte ich nicht mehr. Erst am Schloss Martfeld, wo die Runde am Morgen ihren Anfang genommen hatte. Es war 17:35 Uhr. Vor zehn Stunden und fünf Minuten war ich aufgebrochen. Ich hatte fünf Minuten zu lange gebraucht!

Aber was schert mich das? Es war mal wieder eine gute Zeit auf dem Rundweg um Ennepetal. Mit einem Hauch von Wildnis. Mit Überraschungen. Und mit geschundenen Füßen …

> Wappenweg (alle Beiträge im Blog)

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8 Kommentare Neuen Kommentar hinzufügen

  1. Hauke sagt:

    Höllentempo … chapeau.

    Hihi, die Füße sehen aus wie meine in N nach Hochmoorquerung nach drei Tagen Dauerregen. Mit dem Unterschied, dass es Sommer war und ich in Stiefeln steckte … ;-)

  2. Christian sagt:

    Hallo Martin,

    wieder ein toller Bericht. Ich finde es echt klasse, dass Du die heimische Umgebung für Deine Vorbereitung nutzt. Es ist nicht immer alles bis ins Detail planbar, vielleicht ist das auch ein Punkt, den wir lernen müssen … weiter so!

  3. Jens sagt:

    Danke für Deinen lesenswerten Bericht. Wie war die Atmungsaktivität der Lyngen Softshell bei Deinem doch recht schnellen Tempo? Bei wasserfesten Softshells muss man ja einen Kompromiss zwischen wasserfest und Atmungsaktivität eingehen.

  4. Michael sagt:

    Sehr witziger und lesenswerter Bericht. 54 km … meinen Respekt. Muss auch mal wieder auf Tour gehen. Auch wenn es bei mir eher nach 5,4 km aussieht ;-)

    Aber Deine Fussnägel könntest Du auch mal wieder schneiden. Sehen auf dem Bild wie Hobbit-Füße aus :D

    Micha

  5. @Jens
    Die meiste Zeit des Tages habe ich nur ein mittleres Merino-Polo mit einer Merino-Weste drüber getragen. Alles andere wäre mir zu warm und zu schweißtreibend gewesen. Nur die letzten beiden Stunden hatte ich dann wegen des Regens die Softshell über dem Unterhemd (anstelle der Weste). Die Atmungsaktivität war okay, wobei sie am letzten Berg schon grenzwertig war. Aber da hätte mir auch nur das Unterhemd gereicht … Mit geöffneten RVs und ohne Mütze auf dem Kopf ging das aber. Die Softshell habe ich ja auch primär für meine nächsten Wintertouren. Und da sollte es kälter sein.

    @Michael
    So Hobbit-Füße sind super! Gerade im Matsch geben die richtig guten Halt ;-)

  6. Nina sagt:

    Hallo Martin,

    auf der Suche nach schönen Foto-Blogs, bin ich nun auf Deiner Seite gelandet und staunte nicht schlecht, als ich diesen toll geschriebenen Artikel von Dir entdeckte. Der liest sich wirklich toll, für mich vor allem, weil ich Ennepetal kenne und weiß, wo Du dich da rumgetrieben hast. Dort bin ich aufgewachsen. Den Rundweg bin ich allerdings noch kein einziges Mal gelaufen. 54 km … Tolle Leistung!!!

    Viele Grüße aus Schwelm,

    Nina

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