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Der dritte Frühling

Der dritte Frühling, Foto: Martin Hülle

Eine graue Wolkendecke liegt über der Landschaft, die Temperatur nur wenige Grad über Null. Von Wuppertal-Beyenburg laufe ich durch den Wald zur Spreehler Mühle, wo sich zwischen Bäumen ein kleiner Steinbuch versteckt. Zu Füßen der felsigen Wände schlüpfe ich in meinen Gurt, befestige daran das Klettersteigset und setze den Helm auf. Andächtig schaue ich empor, verfolge mit meinen Augen den Verlauf der Route. Dann steige ich ein und hänge die Karabiner ins Drahtseil. Abschüssige Bänder, senkrechte Aufschwünge. Schritt, Griff. Seitwärts, aufwärts. Höher und höher. Bis ich oben bin. Zurück hinab folge ich einem schmalen Pfad. Und kraxel dann erneut durch die Wand. Wieder und wieder.

„There are only three sports: bullfighting, motor racing, and mountaineering; all the rest are merely games.“ – (Ernest Hemingway)

Meine Kletterkarriere begann vor über 30 Jahren. Mit einem Schulkameraden stöberte ich mickrige Felsen an Spielplätzen auf, wir querten Bruchsteinmauern und mühten uns an Brückenpfeilern ab. Doch ich sah mich sofort zu Höherem berufen, verschlang Alpinliteratur und träumte von harten Winterbegehungen in den Alpen. Aber zuerst machte ich einen Kurs beim DAV. Lernte den Ith und die Eifel kennen, den Halbmastwurf und den Achterknoten. Die Felsen am nahen Isenberg wurden ein beliebtes Ziel. Das alte Blubberdach (6+) einer meiner schwersten Vorstiege. Es verstrichen die Jahre, während derer ich im Schulunterricht unter dem Tisch Klettermagazine las und in Freistunden zu den Wuppertaler Klettertürmen fuhr – bizarren Gebilden aus der Frühzeit künstlicher Kletteranlagen – und Ausdauer trainierte. Auch ins Boulder-Mekka Fontainebleau verschlug es mich. Und schließlich mit einem Freund gar tatsächlich ins sommerliche Hochgebirge, zur Fahrradlkante am Oberreintalturm im Wetterstein. Nur verstiegen wir uns frühzeitig in diesem Klassiker, kehrten bald um und seilten wieder ab. Ein Alpinist wurde nicht aus mir. Auch kein sonderlich guter Kletterer. Mein Verhältnis zur Senkrechten gestaltete sich zunehmend zu einer On-Off-Beziehung.

Nach einer kurzen Zeit der Abstinenz kam Ende der Neunzigerjahre allerdings das Feuer zurück. Hallenklettern war mittlerweile längst en vogue und so tummelte auch ich mich nun vermehrt an Plastikgriffen und schaffte es mit Ach und Krach irgendwie bis in den siebten Grad. Aber das war nur eine Spielwiese. Mit dem Jahrtausendwechsel drängte sich nach dem Fels das Eis in meine Träume. Gefrorene Wasserfälle wurden Ziel meiner Begierde, die ich in den Allgäuer Alpen und in Schweden zu stillen versuchte. Ich liebte es, die Hauen meiner Black Prophet Eisgeräte ins Eis zu schlagen, auf den Frontzacken der Steigeisen zu stehen und Eisschrauben zu setzen. Schnell stieg ich einfache Sachen vor und hatte mit schwedischen Freunden riesigen Spaß – trotz eisig kalter Hände und abenteuerlicher Abseilaktionen an selbstgebastelten Eissanduhren. Aber dann kam mir die Horizontale einmal mehr dazwischen – es rief das Inlandeis Grönlands – und ich tauschte immer häufiger die Kletterausrüstung gegen eine Skitourenausrüstung. Zwar wurde ich jetzt rasch gut darin, mit langen Latten an den Füßen weite Strecken zurückzulegen, aber einher ebbte mein Drang wieder ab, hoch hinaus zu wollen.

Es folgte eine lange Phase, in denen ich der Kletterei nur äußerst sporadisch nachging. Mehr als ein Jahrzehnt stand sie hinter anderen Outdooraktivitäten an. Bis mich im letzten Jahr ein unstillbarer Bewegungsdrang überkam und erste Ausflüge in die Spreehler Mühle nur ein weiterer Neuanfang als Bergsportler waren. Angestachelt durch meine beiden Neffen und meine Nichte, die allesamt mit dem Bouldern begonnen hatten, wollte ich mir als alter Onkel darüber hinaus keine Blöße geben und ihnen zeigen, wie der Kletterhase läuft. Nach einem gemeinsamen Ausflug in die Wuppertaler Boulderhalle Bahnhof Blo hatte ich zwar prompt ordentlichen Muskelkater in den Unterarmen, war aber ebenfalls sofort wieder angefixt. Das war vor gut zwei Monaten und seitdem stecke ich erneut im Sog dieser Sucht namens Klettern. Ob Wupperwände oder das Dortmunder Bergwerk – so oft es geht, möchte ich mich dieser Tage in die engen Kletterschuhe zwängen und mich an Routen und Bouldern probieren. Ich will es noch einmal wissen, in welche Schwierigkeitsgrade ich vordringen kann. Ob 3, 4, 5-, 5, 5+, 6-, 6 – all das klappte schon in kurzer Zeit und lässt mich weiter Blut lecken. Okay, bisher fast alles nur im Toprope, aber ich bin ja auch zum dritten Mal ein Kletteranfänger …

Dass zudem meine Frau und Tochter mit an einem Strang ziehen und sie aktuell ihren ersten Kletterfrühling erleben, während ich dessen Nummer Drei genieße, macht das Spiel mit der Schwerkraft momentan umso schöner!

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