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Für irgendwas muss es gut sein

Helios Klinikum Wuppertal, Foto: Martin Hülle

Es passierte vor fast sechs Wochen. In der Nacht von Samstag auf Sonntag bekam ich einen Krampfanfall. Für einige Sekunden lag ich völlig weggetreten, mit weit aufgerissenen Augen und stocksteif im Bett. Meine Frau war neben mir zu Tode erschreckt, und wir brauchten eine Weile, bis sich die allgemeine Verwirrung gelegt hatte. Was war das? Okay, ein Besuch beim Hausarzt am kommenden Montag drängte sich auf – um mich mal so richtig durchchecken zu lassen …

Doch dann, am Sonntagmittag, haute es mich wieder um. Ich war gerade dabei, meine Tochter Selma zu wickeln, als ich das Gefühl bekam, ohnmächtig zu werden. Ich schaffte es gerade noch, mich auf den Boden zu setzen, da verlor ich wieder das Bewusstsein. Erneut für Sekunden, mit steifen Armen und wieder den aufgerissenen Augen. Als ich zu mir kam, lachte mich Selma vom Wickeltisch aus an. Nina fand das alles weniger lustig, und wir machten uns umgehend auf ins Krankenhaus.

Die Notaufnahme im Helios Klinikum war gut gefüllt, aber ich kam trotzdem bald dran. Und wurde sofort verkabelt und an alle möglichen Geräte angeschlossen. EKG, Blutdruck, Infusion. Ich konnte nicht mal mehr allein aufs Klo … Dafür war die Anamnese, der neurologische und psychische, wie auch der allgemeinmedizinische erste Befund, ohne größere Auffälligkeiten. Blut und Nervenwasser lagen zudem im Normbereich und auch bei der Computertomografie war nix zu finden. Auch kein Tumor, wie der Arzt trocken bemerkte …

Nun ja, aufgrund des zweimaligen Bewusstseinsverlusts mit hochgerissenem Arm und tonischer Haltung war von einer Epilepsie auszugehen. Nach Stunden durfte ich den Notfallbereich verlassen und wurde auf die langweilige Station 5.5 verlegt. Ich verpasste den letzten Auftritt von Cenk Batu als Hamburger Tatort-Kommissar und bekam ein Bett unter dem Fernseher in einem Zimmer voller Schlaganfallpatienten zugewiesen. Da war es vorher in der Notaufnahme doch unterhaltsamer zugegangen, nur durch einen Vorhang getrennt von einer Alkoholikerin, die mit 4,6 Promille im Blut eingeliefert worden war und trotzdem nach kürzester Zeit wieder eigenmächtig nach Hause stiefeln wollte, wobei sie etwas von Menschenhandel schwafelte.

Um meine Frontallappenepilepsie weiter zu untermauern, standen in den folgenden Tagen noch mehrere Untersuchungen an. Zuerst ein EEG, bei dem eine ausgeprägte Beta-Grundaktivität mit zwischengelagerter Alpha-Aktivität und phasenweise auch Theta-Aktivität erkennbar war. Die zeitweise geforderte Hyperventilation stieg mir etwas zu Kopf, aber dafür war die Photostimulation ganz lustig, auch wenn sie keine neuen Aspekte hervorrief.

Ein ausgeprägteres Bild versprachen sich die Ärzte von einem Schlafentzugs-EEG, für das ich mir zuvor eine Nacht um die Ohren schlagen musste. Im kleinen Aufenthaltsraum der Station ließ ich die ganze Zeit den Fernseher laufen, las die grotten langweilige Westdeutsche Zeitung und trank Unmengen an Wasser, um zur Abwechslung oft aufs Klo zu müssen und nicht doch einzuschlafen. Aber wie mir später schien, war die Aktion so ziemlich für die Katz. Neben einer erneut ausgeprägten Alpha-Grundaktivität und ein paar zwischengelagerten Deltawellen, gab das zweite EEG, nach durchgemachter Nacht, nicht viel her. Auch dieses Mal war kein oberflächennaher Herd erkennbar, keine epilepsieverdächtigen Potenziale. Ob das nun gut oder schlecht war, wurde mir nicht berichtet. Im Krankenhaus hielten sich irgendwie alle mit Informationen weitestgehend zurück …

Mittlerweile war Dienstagvormittag. Und bis Donnerstagabend passierte mit mir nichts mehr. Ich lungerte in meinem Bett rum, war zwischenzeitlich immerhin von meinem Standort unterhalb des Fernsehers ans Fenster umgezogen und erfreute mich ansonsten an Besuchen und der Abwechslung, die das Essen mit sich brachte, wenn nur der Kaffee nicht immer schon so lauwarm gewesen wäre.

Schließlich musste ich dann noch eine Nacht ins Schlaflabor und unter Vollverkabelung von 22 bis 5 Uhr möglichst schlafend durchhalten. Wenn ich es dem Bericht korrekt entnehme, der mir über meinen Krankenhausaufenthalt vorliegt, war ich nach 24 Minuten eingeschlafen. Aber die Nacht war unruhig, von Albträumen zerfasert. Schlafqualität und Schlafeffizienz waren reduziert – auch das kann ich Schwarz auf Weiß nachlesen. Immerhin habe ich nicht geschnarcht … Hingegen erneut kein Nachweis epilepsietypischer Potenziale oder einem Herdbefund.

Abschließende Beurteilung: Am ehesten ist von einer kryptogenen fokalen Epilepsie auszugehen. Wobei sich der Befund eher auf die zweimalig, kurzfristig in Folge aufgetretenen epileptischen Ereignisse zurückführen lässt als die Untersuchungen im Krankenhaus. Egal, vom Tag der Entlassung an muss ich Levetiracetam schlucken und mich einer ambulanten nervenärztlichen Weiterbehandlung unterziehen. Ach ja, zu guter Letzt wurde mir noch ein Fahrverbot auf Weiteres erteilt …

Es gibt schlimmere Krankheiten. Es ist nur Epilepsie. Das haben ganz schön viele Menschen. Und wenn man sich einmal daran gewöhnt hat, schränkt es einen auch kaum ein. So die blanke Theorie. Nur warten allein die Pillen mit heftigen Nebenwirkungen auf. Bis hin zu schwerer Depression und Selbstmordgedanken. Zum Glück verursachten sie bei mir in den ersten Wochen nur die üblichen Anfangsprobleme: Schwindelgefühle und Müdigkeit. Oft kam ich morgens kaum aus dem Quark, konnte mich am Nachmittag schon wieder hinlegen und schlief abends vor dem Fernseher ein. Aber das vergeht. Ging es auch. Und mit ihm die Zeit.

Doch als ich das Gefühl hatte, wieder standhafter auf den Beinen zu stehen und einen Tag schlaflos hinter mich zu bringen, kam der Durchfall. Seit zwei Wochen verfolgt mich nun die Scheißerei. Zuerst dachte ich an eine stinknormale Magen-Darm-Erkrankung. Dann daran, es könnte auch von den Tabletten kommen. Doch beides ist es wohl nicht …

Ich fühle mich angezählt, am Boden liegend. Körperlich geschwächt und mit angeknabberter Psyche. Meinem Job kann ich in dieser Zeit kaum nachgehen. Bereits im Spätwinter musste ich aus anderen Gründen eine große Tour absagen und auch jetzt führte kein Weg daran vorbei, das für dieses Frühjahr und den Sommer dafür angesetzte Alternativprogramm hinzuschmeißen. Was für eine Enttäuschung!

Aber wie schon Ende März bleibt wieder nur zu sagen, dass es wohl für irgendetwas gut sein muss. Nur für was?

Ich fechte einen Kampf in mir aus. Zwischen einem Gefangensein im Hier und Jetzt, dem Gefühl von Stillstand und Niederlage. Und der Option auf einen Neuanfang, der oft einer Krise innewohnt. Nach langen Tagen des Abstiegs kehrt langsam wieder etwas Kraft zurück, zeigen sich Möglichkeiten auf am Horizont.

Eine emotionale Achterbahnfahrt, bei der in einem Moment alles verloren und im anderen alles möglich erscheint. Es gilt, diese Möglichkeiten zu finden und nicht im Unmöglichen zu erstarren. Ein steiniger Weg durch einen dunklen Tunnel, an dessen Ende ich aber ein Licht erkenne, das heller strahlen könnte als zuvor. Ich sollte nachschauen. Und mich bald wieder auf den Weg machen …

> Epilepsie (alle Beiträge im Blog)

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6 Kommentare Neuen Kommentar hinzufügen

  1. Gunther sagt:

    Hallo Martin,

    ich habe Deinen Bericht bis zum Ende gelesen. Ich glaube es ist gut, dass Du deine Gefühle mal in Worte gefasst hast. Für die Meisten kaum vorstellbar, plötzlich mit so einer Situation konfrontiert zu sein. Ich wünsche Dir jedenfalls viel Kraft, geh‘ den Dingen nach, die Du wirklich gerne machst. Nimm es als Zäsur und gib nicht auf.

    Alles Gute und halt uns mal auf dem Laufenden
    Gunther

  2. Ronny sagt:

    Oh, was muss ich hier lesen. Gerade für Dich tut mir das wirklich leid, dass Du auch die Alternativ-Touren absagen musstest. Aber es ist auf jeden Fall erstmal besser. Wie Gunther schon geschrieben hat, für die Meisten ist das kaum vorstellbar, auch für mich nicht.

    Auch von mir alles Gute und halt uns auf dem Laufenden
    Ronny

  3. Thomas sagt:

    Hallo Martin,

    ich kann gut nochvollziehen, wie es Dir gerade geht. Ich hatte meinen ersten epileptischen Anfall zwei Monate vor meinem 18. Geburtstag mitten beim Essen. Ich weiß nur noch, wie mein Kiefer auf einmal anfing zu zucken und ich mit dem Stuhl nach hinten umgekippt bin … aufgewacht bin ich erst im Krankenwagen. Das folgende Krankenhausprogramm ähnelte Deinem und war ähnlich ergebnislos (vermutliche Ursache ein zu gestörter Schlaf-Wachrhythmus). Ich hatte danach das Glück, an einer klinischen Studie für „Erstepileptiker“ in Bielefeld teilzunehmen. Ich gehörte zu der Gruppe, die keine Medikamente bekam und wurde die folgenden Jahre nur regelmäßig neurologisch untersucht. Das ist jetzt 10 Jahre her und glücklicherweise blieb es bei diesem einem Anfall. Aber dennoch war da viele Jahre die Angst vor dem plötzlichen Kontrollverlust und das Leben mit den typischen Einschränkungen (erstmal nicht Autofahren, nicht zu nah an Bahngleisen stehen, nicht alleine Baden gehen, etc.).

    Es heißt, dass 5% aller Menschen einmal in ihrem Leben einen epileptischen Anfall haben. Wenn Du schon dazugehörst, so hoffe ich für Dich, dass es bei diesem einen Sonntag im Mai bleibt.

    Alles Gute,
    Thomas

  4. Thorsten sagt:

    Hi Martin,

    Du hattest es ja schon in einer Deiner E-Mail an mich geschrieben. Obwohl wir uns persönlich (noch) nicht kennen, ich bin wirklich berührt. Du darfst Dich nicht aufhalten lassen auf dem Weg zum Licht am Ende des Tunnels. Mache es wie Gunther schon ganz treffend gesagt hat. Versuche die Dinge zu unternehmen, die Dich inspirieren und die Dir Freude bereiten!

    Lass mal wieder von Dir hören – ich schließe mich den Worten von Ronny und Gunther an: Halte uns auf dem Laufenden!

    Alles erdenklich Gute und beste Grüße,
    Thorsten

  5. Jochen sagt:

    Hallo Martin!

    Gerade noch dachte ich mir auf Facebook, als ich Dein Profilbildchen sah: „Mensch, schon lange nichts mehr gelesen vom Martin“ und klickte mich in Dein Profil. Dort fand ich dann den Link zu deinem Blog-Artikel, welchen ich mit Sorge durchgelesen habe.

    Mir fehlen ein wenig die Worte, dennoch möchte ich nicht kommentarlos an diesem Artikel vorbei ziehen. Mitreden kann ich nicht, wie etwa Thomas weiter oben in seinem Kommentar. Jedoch sind die Gefühle, die Gedanken, die Du beschreibst, nachvollziehbar. Auch ich würde womöglich ähnlich denken und auch enttäuscht sein, geplantes absagen zu müssen.

    Es gibt im Leben immer wieder Situationen, die einem das Nachdenken befehlen. Beim einen Menschen mehr, beim anderen weniger. Und wenn man dann ein schwaches Licht am Ende des Tunnels sieht, hat man wenigstens etwas, an dem man sich festhalten oder hochziehen kann. Zum Glück hast Du aber auch eine Frau, eine Familie, die Vertrauten geben Dir sicherlich Halt.

    Ich weiß nicht, wie ich Dich aufmuntern kann, auch wenn ich es gerne täte. Wuppertal ist klein. Ich wünsche Dir gute Besserung, Stärke und Mut zum Kämpfen.

    LG vom Jochen

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