Fotografie Reisen

Die weiße Wüste – (B-Seite)

Die weiße Wüste, Foto: Martin Hülle

Wir erreichten Sandhaug inmitten der tief verschneiten Hardangervidda gleichzeitig mit drei Norwegern. Sie kamen aus Südwest von Litlos, wir aus südlicher Richtung von Hansbu. Schnell war in der Selbstversorgerhütte Sandhaugs ein knisterndes Feuer im Ofen entfacht und wir tauten rasch auf an diesem windig-kalten Tag, der uns in die heimelige Unterkunft getrieben hatte.

Nachdem die üblichen Einstiegsfragen des Woher und Wohin gestellt, die Nationalitäten geklärt und aller anfänglicher Smalltalk abgehakt waren, stiegen wir bei Keksen, Tee und Kaffee ein in eine rege Unterhaltung, die Jerome und mich gleichsam zum Staunen und Lachen brachte. Bjørn Tomren, der viele Wochen zuvor an Norwegens südlichster Spitze, dem Kap Lindesnes, zu einer Skitour zum Nordkapp aufgebrochen war und noch ewige Zeiten unterwegs sein würde, entpuppte sich als Musiker mit Liebe zur deutschen Volksmusik. Er mochte Heino und Margot Hellwig und war selbst ein landesweit bekannter Jodler. Auch Klaus Kinski war für ihn ein Genie, der sich irgendwie mit in unsere Unterhaltung schlich, und dem Bjørn einst eine Ode gewidmet hatte. Zudem erzählte er uns von Konzerten in Deutschland, die er selbst gegeben und bei denen er dem Publikum kundgetan hatte, Florian Silbereisen zu mögen, wofür er in Berlin ausgebuht wurde und in München beim Publikum den Eindruck einer Verarschung hinterließ. Nun, wir hatten unseren Spaß in Sandhaug, der immer mal wieder mit einem kleinen Jodler Bjørns untermalt wurde …

Der zweite im Bunde, Endre Ruset, war ein Gedichte-Schreiber, und er begleitete Bjørn auf dessen Mission „Norge på langs“ immer mal wieder. Zwischendurch stieg er ab und an auch wieder aus, um zu arbeiten und zu schreiben. Überhaupt kam bei dieser Mammut-Tour alles nicht so genau – schließlich seien sie Künstler und machten es eben Hippie-Style. Dazu passte auch die zerrissene Unterhose des anderen Bjørn, dem letzten des Norweger-Trios. Er trug ein Beinkleid, mit dem wir uns kaum in die Kälte gewagt hätten. Aber er lief darin das Stück über die Hardangervidda mit, um anschließend von Finse mit der Bahn nach Voss zu fahren, dort weitere Freunde zu treffen, mit ihnen zu einer nächsten Hütte zu laufen, wo sie gedachten, ein gemeinsames Wochenende mit viel Alkohol zu verbringen. Eine Herrentour, zu der schon jetzt gut passte, dass er nach dem Abendessen einige Flaschen Underberg auspackte.

Über Jodler Bjørn stieß ich wieder daheim auf die Band Polkabjørn & Kleineheine. Und den Song I Like to Ski. Wie passend zu unserer Begegnung im Nirgendwo, bei der wir neben dem Phänomen Volksmusik auch so Sachen wie Ski-Expeditionen über das grönländische Inlandeis oder quer durch Island thematisierten.

Die Begegnung mit den Dreien war ein Highlight unserer Tour über die Hardangervidda, der größten Hochebene Nordeuropas. Seinerzeit hatte ich das eisige Abenteuer auch im Rahmen meines Projekts Mein Norden unternommen, doch die dabei gemachten Aufnahmen haben es nachher nicht ins gleichnamige Fotobuch geschafft. So ist diese Geschichte und Bilderserie quasi nur eine B-Seite meines Bildbands.

Nun gut, unsere Unternehmung verlief ansonsten wenig spektakulär und ist rasch erzählt. Nach unserem Aufbruch in Haukeliseter wurde das Wetter strahlend gut und knackig kalt. Die Sonne stand am blauen Himmel und die Temperaturen sanken bis auf minus 25 Grad hinab. Dazu war es absolut windstill. Doch die Freude an diesen traumhaften Bedingungen, dem Geschenk, in dieser einsamen Winterlandschaft unterwegs sein zu dürfen, hielt bei mir nicht lange an. Vor unserer Abreise nach Norwegen plagte mich eine Erkältung mit Schnupfen, die bis zum Start noch nicht ganz verschunden war und nun in Schnee und Eis wieder auftauchte, mir die Kälte in die Glieder trieb und die Rotze in die Nase. Angeschlagen und mit müden Beinen war ich froh, dass wir einen ganzen Tag in Sandhaug ausharrten und ich mich dort am fünften Tourtag wieder etwas berappeln konnte. Selten hatte ich mich so über schlechtes Wetter gefreut, das nach der Stille nun mit starkem Wind und Schneetreiben über die Vidda fegte. Am Holzfeuer konnte ich mich wärmen.

Als wir schließlich weiterzogen, brach die Sonne nur noch selten durch die Wolken und die Landschaft war in fahles Licht getaucht. Zeiten ohne Wind wechselten sich mit stürmischen Momenten ab, in denen die Hardangervidda ihr wahres Gesicht zeigte. Finse erreichten wir trotz allem ohne Probleme. Auf meiner elften Skitour durch die weiße Wüste fanden meine Beine den Weg fast wie von selbst. Ich war nur müder als sonst – die Tage hatten mich geschlaucht.

Dabei war es natürlich einmal mehr wunderschön, die Skispitzen durch den Schnee gleiten zu lassen, die funkelnden Kristalle zu bestaunen und mit den Augen über die Weite zu schweifen.

Die Route
Haukeliseter – Hellevassbu – Låven – Hansbu – Sandhaug – Rauhelleren – Fagerheim – Krækkja – Finse

Fotografiert mit der FUJIFILM X-Pro1 und dem XF18-55mmF2.8-4 R LM OIS

Aus dem Projekt Mein Norden.

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1 Kommentar Neuen Kommentar hinzufügen

  1. nordicfamily sagt:

    Ich liebe die Bilder auf Flickr zu dieser Tour – die Geschichte ist natürlich auch lustig. Eine Reise lebt dann doch von den Begegnungen oder aber auch von der Einsamkeit :-)

    In Schneeverbundenheit
    Geertje

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