Fotografie Reisen

Zurück auf Los

Zurück auf Los, Foto: Martin Hülle

Ein eisiger Wind weht über den Kungsleden. Bevor es hinuntergeht zu den Aktse-Hütten, verlasse ich den markierten Weg und wandere in Richtung Sarek zu den Seen unterhalb des Bassoajvve. In der Senke tummeln sich die Rentiere. Ich baue mein Zelt auf und starte mit leichtem Sturmgepäck zum 1179 Meter hohen Gipfel des Skierffe, dem markantesten Berg im Rapadalen. Von seiner Rückseite ist der felsige Sporn relativ einfach zu besteigen, ein unscheinbarer Pfad führt hinauf und nur das letzte Stück ist steinig. Plötzlich bin ich oben, stehe an der Abbruchkante und unter mir geht es 700 Meter senkrecht hinab. Der Blick auf das Delta des Ráhpaädno verschlägt mir den Atem. Tief unten schlängeln sich die verästelten Arme des mächtigen Flusses durch einen grünblauen Teppich aus Seen, Sümpfen und Wäldern. Eingekeilt zwischen den Felsabbrüchen des Skierffe und des gegenüberliegenden Tjahkelij münden die pulsierenden Adern des mit Gletschersedimenten durchsetzten Wassers in den Laitaure. Wenn ich jetzt einen epileptischen Anfall bekäme, würde ich mich vielleicht nicht halten können und über die Klippe in die Tiefe stürzen. Ich bin mutterseelenallein – dabei sollte ich nicht mehr zu Solotouren aufbrechen. Zu riskant, so ganz ohne mögliche Hilfe. Aber diesen gut gemeinten Ratschlag meines Arztes habe ich schlicht ignoriert. Jetzt hier zu stehen an diesem Ort, mich nicht sattsehen zu können an dieser Landschaft, hat etwas Unwirkliches. War ich vor ein paar Monaten doch noch ein Schatten meiner selbst, als mich die Epilepsiemedikamente geschwächt hatten und ich erst langsam Schritt für Schritt wieder auf die Beine kam. Aber nun ist der Gipfel des Skierffe der Punkt, an dem ich die Ungewissheit restlos zurücklasse. Voller Neugierde tauche ich von hier aufs Neue ein in „Europas letzte Wildnis“ – wie seiner Zeit zu Beginn der Neunzigerjahre.

Fotografiert mit der FUJIFILM X-Pro1 und dem XF35mmF1.4 R sowie dem XF60mmF2.4 R Macro

> 15 Tage Zuckerbrot und Peitsche (Das Tagebuch der Sarek- und Padjelanta-Durchquerung)

Aus dem Projekt und Fotobuch Mein Norden.

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