Reisen

Irrwege

Island Rundreise, Foto: Martin Hülle

Bei der Einfahrt in den Seyđisfjörđur verspürte ich an Deck der MS Norröna ein Kribbeln im Bauch. Ich war voll gespannter Erwartung und äußerst zuversichtlich auf das, was uns in den nächsten vier Wochen bevorstehen würde. Doch einmal an Land erwischte mich Island allzu schnell auf dem falschen Fuß. Die verregneten Ostfjorde waren ein erster Schlag ins Gesicht, die oft bis auf Meereshöhe verhangene Südküste mit ihren überlaufenen Attraktionen ein zweiter hinterher. Ich tat mich schwer, eine Bindung zu der Insel aufzubauen. Stattdessen stand ich oft nur da, während Bus um Bus Touri an Touri ausspuckte, die alle die gleichen Gletscherpanoramen, Wasserfälle und Eisblöcke im miesen Sommerwetter knipsten.

Ein paar Bilder machte ich auch, versuchte mancherorts zu „meinen“ Impressionen zu kommen, doch der Funke wollte nicht so recht überspringen. Kein Feuer entfachte in mir, nur selten blühte ich auf. Aber wie auch? Während wir von Highlight zu Highlight tingelten, prasselte meist der Regen aufs Autodach und löschte jede Regung im Keim. Es fiel uns schwer, eine gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Wir blieben auf Distanz, dabei kannten wir es doch von früheren Reisen nur zu gut, auch bei schlechtem Wetter unterwegs zu sein.

Erst in Arnarstapi auf der Halbinsel Snæfellsnes – nach einem kurzen Glücksmoment am Leuchtturm Svörtuloft – erlebten wir einen wunderschönen Abend, als die Sonne langsam hinter dem Snæfellsjökull unterging und wir die Gelegenheit sofort nutzten, draußen vor dem Zelt in der Pfanne Fladenbrote auf dem Gaskocher zu backen. Doch dieser Lichtblick war erneut nur von kurzer Dauer. Schon am Berg Kirkjufell, wo ich in eine glitschige Ecke ganz nah am Wasserfall Kirkjufoss krabbelte, war es einfach nur ein weiterer Versuch, dieser vielgerühmten Insel aus Feuer und Eis ein weiteres Landschaftsbild abzutrotzen. Verzweiflung und Resignation fingen langsam an, sich zu paaren.

Als uns dann später in den Westfjorden nicht nur aus unerfindlichen Gründen ein zweites Mal die Autobatterie verreckte – wir so aber zumindest die herzerwärmende Hilfsbereitschaft der Isländer kennenlernen durften –, sondern auch noch ein Reifen auf einer der Schotterpisten zerfledderte, war es bald um uns geschehen. Ein paar entlegene Ecken, die wir gerne noch aufgesucht hätten, ließen wir danach links liegen. Zu unwohl fühlten wir uns jetzt auf diesen rumpeligen Straßen, zu groß war unsere Sorge, irgendwann einfach irgendwo liegenzubleiben. Also sagten wir diesem abgelegensten und am wenigsten besuchten Landesteil mit einem Blick gen Hornstrandir Lebewohl, und machten uns auf zurück zur asphaltierten Ringstraße und in den Norden Islands.

Je länger wir unterwegs waren, desto öfter blieb meine Kamera einfach in der Fototasche. Still schaute ich über das Land, versunken in Gedanken. Zurück in Seyđisfjörđur war ich traurig. Darüber, dass alles so schnell vorbei war. Darüber, zu viel im Auto gesessen und zu wenig gewandert zu sein. Darüber, als Fotograf nicht das erreicht zu haben, was ich mir vorher ausgemalt hatte. Der schale Nachgeschmack, es hätte mehr drin sein können, stieß mir lange auf.

Wieder zu Hause mochte ich meine mitgebrachten Fotos lange nicht ansehen. Dabei waren es doch nur so wenige. Ich schob sie beiseite, stürzte mich in andere Dinge. Fing an, die nächste Tour zu planen. Ich machte jede Woche eine Tageswanderung und trainierte so konsequent wie lange nicht mehr. Erst um den Jahreswechsel herum mistete ich die Island-Bilder aus und machte mich anschließend an die Bearbeitung. Um dann festzustellen, dass einige Impressionen trotz allem gar nicht so übel geworden sind …

Nach der Reise, die ich noch immer schwer in Worte fassen kann, verlor ich die Fotografie für einige Zeit etwas aus den Augen, hatte sich die negative Erfahrung doch tief eingebrannt. Ein Gefühl, versagt zu haben. Gescheitert an den eigenen Erwartungen, Vorstellungen und Zielen. Mittlerweile allerdings entpuppen sich die Aufnahmen als neue Motivation. Sie machen mir Hoffnung.

Aus dem Projekt und Fotobuch Mein Norden.

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