Reisen Wandern

Sarek & Padjelanta – 15 Tage Zuckerbrot und Peitsche

Sarek und Padjelanta, Schweden, Foto: Martin Hülle

Der Plan war simpel: Mit dem Flugzeug nach Stockholm, weiter mit der Bahn nach Gällivare in Lappland und per Bus und Boot über Kebnats nach Saltoluokta am Kungsleden. Von dort den Königsweg ein Stück südwärts bis Aktse und dann hinein in den Sarek – Europas letzte Wildnis. Über den Skierffe und durch das Rapadalen nach Skárjá – dem Herz der Hochgebirgsregion. Wieder hinaus aus der wilden Bergwelt durch das Álggavágge, an der Kapelle von Alkavare vorbei und rüber in die Region Padjelanta – dem „höheren Land“. Schließlich zurück zur Zivilisation über Teile des Padjelanta- und Nordkalottleden nach Sulitjelma. Heimwärts wie gehabt. Mit Bus, Bahn und Flugzeug über Fauske, Trondheim und Oslo.

Seit letztem Sonntag bin ich nun zurück. Erfolgreich. Der Neuanfang hat funktioniert. Aber es war nicht einfach, die Tour anspruchsvoll. Viel schlechtes Wetter, Regen, sumpfiger Grund. Ein erster Wintereinbruch mit Minusgraden. Doch auch Sonne, klarer Himmel. Weite bis zum Horizont. 15 Tage schleppte ich meinen schwer beladenen Rucksack durch die karge Landschaft. Ich traf unzählige Rentiere, arrangierte mich mit Nässe und Kälte und versuchte, jeden Moment zu genießen. Egal ob in Wolken gehüllt oder von wärmenden Strahlen beschienen. Oft sah ich Regenbögen. Es war gut, zurückzukehren in die Region, wo einst alles begann. Das „Zurück auf Los“ hat geklappt – es war der erste Schritt.

Ein Tagebuch

Freitag, 31. August – In der Nacht kam der Regen. Am Morgen Pfützen ums Zelt. Schnell gefrühstückt und gepackt. Um 09:00 Uhr breche ich von der Saltoluokta-Fjällstation auf gen Süden. Steil führt der Kungsleden bergan in baumlose Gefilde. Die Szenerie wird dominiert von der düsteren Bergflanke des Lulep Gierkav. Ich sehe aus wie SpongeBob und schleppe meinen gelb verhüllten Rucksack durch das weite und karge Ávtsusjvágge. Das Tal hat wenig zu bieten, die Berge zu allen Seiten sind in Wolken gehüllt. Feucht und glitschig ist der Pfad, Bohlenwege sind überspült und die Bäche am Wegesrand voll vom vielen Niederschlag der vorangegangenen Wochen. Es zieht sich. Doch später kommt die Sonne raus und es reißt mehr und mehr auf. Am Sitojaure Fliegenterror – die Biester erfreuen sich an Windstille und etwas Wärme. Noch am Abend fährt mich eine Samin mit ihrem Motorboot über den See. Auf der anderen Seite schlage ich unweit der Svijnne-Schutzhütte mein Lager auf. Es war ein langer erster Tag. Als ich später noch einmal zum Pinkeln hinaustrete, hat sich bereits Eis auf dem Zelt gebildet. Willkommen Nachtfrost!

Samstag, 01. September – Morgensonne vertreibt die kalte Nacht. Ich folge weiter dem Königspfad. Erst durch lichten Wald, dann wieder hinauf in die kahle Bergwelt, wo ein eisiger Wind weht. Kurz darauf verlasse ich den markierten Weg und schwenke via Njunjes ab gen Sarek und zu den Seen unterhalb des Bassoajvve. In der Senke tummeln sich die Rentiere, inmitten derer ich meine Nylonhütte aufbaue. Es ist erst Mittag, aber ich habe noch was vor. Mit leichtem Sturmgepäck flitze ich runter zu den Aktse-Hütten und zum Ufer des Laitaure. Ich möchte den Steilabbruch des Skierffe erst von ganz unten sehen, bevor ich dessen Gipfel erklimme. Ich mache einige Bilder, eine kurze Rast. Dann haste ich die 500 Höhenmeter wieder hinauf zum Zelt. Ein kurzer Zwischenstopp und weiter geht es zum Gipfel des Skierffe. Von seiner Rückseite ist der felsige Sporn einfach zu besteigen. Steinig nur das letzte Stück. Plötzlich bin ich oben, stehe an der Abbruchkante und unter mir geht es 700 Meter senkrecht hinab. Der Blick auf das Delta des Ráhpaädno verschlägt mir den Atem. Tief unten schlängeln sich die verästelten Arme des mächtigen Flusses durch einen grünblauen Teppich aus Seen, Sümpfen und Wäldern. Eingekeilt zwischen den Felsabbrüchen des Skierffe und des gegenüberliegenden Tjahkelij münden die pulsierenden Adern des mit Gletschersedimenten durchsetzten Wassers in den Laitaure. Ich kann mich gar nicht sattsehen, doch irgendwann wird es kühl und ich muss noch zurück zum Zelt. Schweren Herzens trete ich den Rückweg an. Der Mond kommt hervor. Ich hole Wasser an einem der umliegenden Seen und verkrieche mich im Zelt. Um 21:00 Uhr ist es dunkel. Und gemütlich.

Sonntag, 02. September – Als ich am Morgen aus dem Zelt blicke, sehe ich fast nichts. Alles ist wolkenverhangen. Bei dem Wetter macht es keinen Sinn, weiterzulaufen. Also abwarten. Ich lege mich wieder hin. Und schaue immer wieder auf die Karte, gehe die Tage und Wegabschnitte durch. Alleine im Zelt kommen die Zweifel. Kann ich die Strecke schaffen? Reicht die Zeit? Was ist mit den anstehenden Flussquerungen? Ich höre Musik, trinke Tee. Draußen ist der Regen mal stärker, mal weniger dicht. Ich hoffe auf den Nachmittag. Darauf, dann noch ein Stück weiterzukommen. Aber daraus wird nichts – schon eine Zwangspause am dritten Tag. Die Zeit vergeht etwas mühselig mit Nichtstun. Im Laufen ist es einfacher. In der Ruhe liegen die quälenden Gedanken. Am Abend dann reißt es doch noch auf. So sieht alles wieder freundlicher aus. Ich nehme es als gutes Zeichen und krieche mit besseren Gedanken in den Schlafsack.

Montag, 03. September – In der Nacht träume ich schlecht und wache genau in dem Moment auf, als ein paar Tropfen aufs Zelt fallen. Aber ich schlafe schnell wieder ein und früh am Morgen ist das Wetter gut. Bereits vor 07:00 Uhr bin ich unterwegs – da scheint schon längst die Sonne. Noch einmal steige ich auf den Skierffe, blicke hinab in die Tiefe und hinüber zu all den hohen Gipfeln, bevor ich mich endgültig auf den Weg mache hinein in den Sarek. Ab und an gibt es Trittspuren, auch mal ein Steinmännchen, aber meist ist es weglos. Ich quere einen steilen und felsigen Hang, springe über Bäche und laufe zum Sattel am 1.078er-Berg oberhalb des Ridok. Kurz zuvor begegne ich einer wortkargen Vierergruppe, die nicht mal grüßen. Noch ein letztes Mal blicke ich zurück zum Skierffe, dem Nammásj und dem Delta des Ráhpaädno. Dann ziehe ich, hoch über dem Rapadalen, den hier flachen Hang entlang weiter, bis ich am Lulep Vássjájågåsj stehe. Durch einen schluchtartigen Einschnitt rauscht der Fluss über Fallstufen hinab. Ich suche nach einem günstigen Übergang und finde ihn – nur knietief ist dort das Wasser, die Strömung kaum spürbar. Da ist es fast schwieriger, die andere Hangseite wieder hinaufzukraxeln. Wenig später, nach zehn Stunden auf den Beinen, schlage ich mein Zelt auf einer flachen und steinlosen Stelle auf. Regenschauern treiben zur Eile. Etwas entfernt hole ich an einem kleinen Bach Wasser und genieße die großartige Aussicht über das Rapadalen, hinüber zum Rapaselet und den Bergen auf der anderen Talseite. Die Sonne blinzelt hervor, ein Regenbogen entsteht, der Mond steigt auf. Dazu dringt aus dem Tal fortlaufend das Rauschen des mächtigen Ráhpaädno empor. Einfach schön.

Dienstag, 04. September – Es sieht nicht mehr gut aus. Dunkle Wolken ziehen heran. Ich streife die Regenmontur über und folge einem unscheinbaren Pfad auf einem sanften Rücken hinunter ins Rapadalen und hinein in den dichten Wald der tieferen Lagen. Bald umhüllt mich die Nässe. Dazu ein Wirrwarr aus Bäumen, Bächen und Sträuchern. Ich verliere den Weg, finde ihn wieder und erreiche nach einer Weile den Hauptpfad des Tales. Kurz darauf stehe ich am Alep Vássjájågåsj. Bei der Querung des ersten Flussarmes schwappt mir etwas Wasser in einen Schuh, den zweiten meistere ich balancierend auf umgestürzten Bäumen und Ästen. Danach folgt ein Sumpffeld. Von Büschel zu Büschel, Gestrüpp zu Gestrüpp taste ich mich voran. Und stehe trotzdem laufend bis zum Knöchel im Wasser. Der Pfad mäandert durch den Wald wie der Fluss durch das breite Tal. Dazu diese Nässe von allen Seiten. Von oben durch den Regen. Von unten durch die Bäche, den überspülten Weg und all den Morast. Von links und rechts durch das triefende und den Weg umschlingende Strauchwerk. Und von innen durch den Schweiß. Mir ist warm. Und in den Pausen rasch kalt. Das Laufen strengt an. Immer wieder ein Auf und Ab. Ein Zick und Zack. Das Rapadalen – die Schöne und das Biest. Zwei Welten – von oben betrachtet und mittendrin. Als sich der Weg ein wenig bessert, laufe ich mit dem Rucksack, der meinen Kopf überragt, gegen einen Ast, der nicht weichen will. Ich verliere das Gleichgewicht, kippe nach hinten und lande in einer tiefen Pfütze. Blitzschnell rappel ich mich wieder auf – fluchen kann ich nicht, nur lachen. Dann stehe ich unvermittelt vor der Skårkistugan. Ich gehe ein Stück zurück und finde den Abzweig, der hinauf- und wieder hinausführt aus diesem Chaos. An der Baumgrenze bleibe ich – nur raus aus dem Wald. Wie auf einem Balkon steht das Zelt. Schnell fängt die Zeit im nassen Dickicht an zu verblassen. Tee, Kekse, wärmende Klamotten. Die feuchte Unterwäsche trocknet am Leib. Spät wieder reißt es auf. Blauer Himmel, Sonne auf den frisch verschneiten Bergspitzen. Fünf Tage – ein Drittel der Tour ist rum.

Mittwoch, 05. September06:15 Uhr. Gutes Wetter. Die Sonne lugt hervor und scheint auf einen Hang im Sarvesvágge. Aber bald wird es wieder schlechter und erst um 10 klart es so richtig auf. Nix wie raus, Rucksack packen und auf gen Skárjá, dem Herzen des Sarek. Nach wenigen Metern muss ich gleich den Jilájåhkå furten. Frühsport zur Mittagszeit. Danach geht es steil raus aus dem Bachtal und hinauf zum Passübergang ins Snávvávágge. Steinig und feucht ist der Weg. Und wieder kommt der Regen zurück. Voll konzentriert nehme ich die Passage an den Spökstenen in Angriff, über die mir daheim Gruselgeschichten erzählt wurden. Dort wäre fast Kletterei gefordert und ich solle sehr aufpassen auf dem rutschigen Grund am steilen und felsigen Berghang des Bielatjåhkkå. Doch so fürchterlich ist es dann gar nicht. Ein Stück steil runter, eine Querung, schließlich wieder etwas hoch. Über Stock und Stein, durch ein paar Büsche und Geröllfelder hinweg. Natürlich, nicht schön zu laufen, aber gut machbar. Dafür kann sich das Wetter nicht entscheiden. Regen und Sonne geben sich die Klinke in die Hand und zaubern wieder einmal Regenbögen hervor. Wenige Kilometer weiter muss ich auch den Bielajåhkå und den Tjågnårisjågåsj furten, doch das Wasser reicht beide Male kaum bis zum Knie und ist nicht weiter der Rede wert. Dazwischen holprige und matschige Passagen. Zwischen Steinen und Weidengestrüpp. Ich treffe einen Schweizer, mit dem ich in der wilden Einsamkeit einen kurzen Plausch genieße. Schließlich das letzte Stück des Tages. Der Wind nimmt zu, auch die Nässe von oben. Als ich die kleine Nothütte bei Skárjá erreiche, klebt mir die Hose an den Beinen. Ich werfe nur kurz einen Blick in die Zelle mit Nottelefon und baue fix mein Zelt am Smájllájåhkå auf. Raus aus den nassen Klamotten und rein in die eigene, kleine Welt. Trotz des oft schlechten Wetters läuft bisher alles wie geschmiert.

Donnerstag, 06. September – Die ganze Nacht trommelt Regen auf das Zeltdach und auch am Morgen halten die Schauern an. Ruohtes- und Guohpervágge sind finster und verhangen. Aber egal – ohnehin hatte ich für diesen Ort einen Ruhetag eingeplant. Hier, am Mittelpunkt des Sarek, wo die markantesten Täler zusammenkommen und auch der Ráhpaädno seinen Ursprung hat. Erst am frühen Nachmittag tritt leichte Wetterbesserung ein. Ich stromere etwas umher, doch es ist kalt und die Regenschauern werden abgelöst von Schneetreiben. Inmitten der imposanten Bergwelt ist außerhalb des Zeltes keine Gemütlichkeit zu finden. Trotzdem ist es schön. Allein zwischen den weißen Gipfeln.

Freitag, 07. September – Bestes Wetter! Klar und kalt. Pfützen gefroren. Die verschneiten Berge strahlen über den grünen Tälern und vor dem Himmelsblau. Immer wieder blicke ich hinauf zu Graten, Zacken, Felsentürmen. Ein Wechselbad der Gefühle. Nach der absoluten Tristesse nun diese erhabene Schönheit der Landschaft. Mit Sack und Pack ziehe ich weiter zum Guohperjåhkå, der einfach zu durchwaten ist. Vor allem bei Sonnenschein und mittlerweile angenehm warmen Temperaturen. Durch die Türe in einem Rentierzaun geht es hinein ins Álggavágge, durch das ich den Rest des Tages laufe. Nach der Wasserscheide kommen wunderschöne Passagen, flach und gut zu gehen. Das Tal ist schön. Erst steinig und karg, dann sanft mit Wiesen. Erst später wieder hässlichere Stellen mit Gestrüpp und Nässe. Die Zeit schreitet voran. Am weitgefächerten Flusslauf, der vom Vattendelarglaciären herunterzieht, endet mein Tagwerk. Leider ziehen dünne Wolkenschlieren vor die Sonne und es wird sogleich kühl. Bislang der schönste Wandertag der Tour. Und Halbzeit!

Samstag, 08. September – Naja, von einer stabilen Schönwetterlage kann keine Rede sein – der Mist ist schneller zurück als gehofft. Im Regen stiefel ich weiter bis zur Kapelle von Alkavare, diesem steinernen Bau im Nirgendwo. Ein dunkler, kalter und trostloser Ort. Ich überlege, wie ich weiter vorgehen soll und entschließe mich dazu, den Miellädno über die Brücke zu queren, auch wenn es einen kleinen Umweg bedeutet. Zu einer Furt des Flusses am Ausgang aus dem Álggajávrre habe ich keine Lust und die Ruderboote, die dort die dritte Möglichkeit wären, möchte ich allein auch nicht nutzen. Doch vorher muss ich auch noch über den Gáinájjågåsj, was mit etwas Glück ganz gut klappt. Mit der Brücke und der Überschreitung des Miellädno verlasse ich den hochalpinen Sarek und trete ein in die weitläufige und hügelige Region Padjelanta. Ab und an bricht die Sonne durch und schickt Wärme. Doch es siegt auf Dauer mal wieder der Regen. Und der Schnee. Weglos schlage ich mich durch zum Rissájåhkå, den ich bereits aus der Ferne an einem markanten Wasserfall erkenne. Ich schaffe es gerade noch, den Fluss in Crocs und mit hochgekrempelter Hose zu durchqueren, bevor nasse, dicke Schneeflocken das weite Land in Windeseile einhüllen. Im Nu ist Winter und die Sicht dahin. Entlang der Rissájávrre-Seen hangel ich mich weiter, krieche unter einem Rentierzaun hindurch und marschiere Richtung Duottar. Es klart wieder etwas auf und der Schnee schmilzt rasch. Viele Rentiere ringsum, die Böden meist recht gut zu gehen. Mich locken die Tuottarstugorna am Padjelantaleden. Nach all den kalten Zeltnächten keimt in mir der Wunsch nach einer Pritsche und einer Decke über dem Kopf. Daher halten mich auch nasse Stellen oder Wiesen, die wie eine Buckelpiste daherkommen, nicht mehr auf. Ein letzter Hügel am Duottarjávrre, dann liegen sie vor mir. Alle Hütten sind bereits geschlossen. Bis auf eine, die das ganze Jahr über zugänglich bleibt. Drinnen haben es sich bereits vier Deutsche gemütlich gemacht. Wir rücken zusammen in der für sechs Personen ausgelegten Stuga. Es ist warm, die Gas-Heizung bullert. Draußen kommt der Schnee zurück und ein eisiger Wind pfeift um die Ecken.

Sonntag, 09. September – Minus 3,5 Grad am Morgen. Dicht gedrängt schmiegt sich ein Rentier im Windschatten an die Hütte. Alles ist Weiß und bis wir aufbrechen, ziehen weitere Schneeschauern über uns hinweg. Dafür ist die Luft heute besonders frisch und klar. Und als dann die Sonne doch mal wieder Oberhand über das mäßige Wetter gewinnt, wird es ein herrlicher Tag. Es ist nicht nur ein Genuss, nach der Zeit im weglosen Gelände nun über einen ausgetretenen Pfad zu laufen. Nein, es ist ein Gang aus dem Winter in den Frühling. Über den Padjelantaleden steige ich aus den weißen Höhen hinab in die grüne Oase Staloluokta. Hinter mir lasse ich die gepuderten Zacken der Sarek-Berge zurück, vor mir breitet sich der große Virihaure aus. An seinem Ufer errichte ich mein Zelt, schaue hinaus, träume und lasse die Gedanken schweifen. Vielleicht der malerischste Fleck bisher. Weite und Stille. Langsam geht die Sonne unter. Ich lebe in diesem Moment.

Montag, 10. September – Ich liege bestens in der Zeit und kann mir einen weiteren Ruhetag gönnen. Der Himmel ist wieder zugezogen, die Landschaft grau. Es lockt nicht viel. Erst am Nachmittag drehe ich eine kleine Runde. Zu den Staloluoktastugorna, der Samensiedlung am Luoppal und der am Virihaure. Nirgends eine Menschenseele. Ich bin allein. Nach der Vierergruppe in der Hütte von Duottar begegneten mir nur noch wenige Wanderer. Alle liefen nach Süden, nach Kvikkjokk. Ich ein Stück nach Norden und ab morgen westwärts gen Norwegen.

Dienstag, 11. September – Abschied vom Virihaure, diesem schönen und ruhigen Ort. Ich laufe zu den Staddajåkkåstugorna über den Nordkalottleden durch ein karges, reizloses Tal. Zumindest ist der Pfad gut und ich komme schnell vorwärts. Um 12:00 Uhr bin ich an den Hütten. Öde gelegen, nicht sehr attraktiv. Zum Glück ist es noch trocken. Erst später, als es in höheren Lagen wieder steinig wird und Altschneefelder auftauchen, kommt der Regen zurück. Noch eine halbe Stunde, dann stehe ich vor der winzigen Sårjåsjaurestugan, die wunderschön am Ufer des Sårjåsjávrre liegt. Aus dem Fenster blicke ich über den See, doch drinnen ist es muffig. Lieber schlage ich ganz in der Nähe einmal mehr mein Zelt auf. Später und in der Nacht gehen kräftige Schauern nieder. Der Wind schüttelt meine Behausung und die Aussicht über die stark verhangenen Berge ist mäßig.

Mittwoch, 12. September – Wie gut, dass ich keine Eile habe. Erst im Laufe des Vormittags bessert sich das Wetter, kommt erneut die Sonne raus und die Wolken verschwinden. Mittags los. Egal, die Etappe heute ist kurz. Über feuchte Wiesen geht es am See entlang bis zur Reichsgrenze zwischen Schweden und Norwegen. Schwupps bin ich in einem anderen Land. Das vergletscherte Sulitelma-Massiv ragt im Süden in den Himmel. Am Ende meiner Tour ist die Landschaft wieder von schroffen Gipfeln dominiert. Und von immer mehr Steinen. Ich laufe bis zur Sorjoshytta, doch dort ist das Zelten schwierig, der Boden nicht schön. Also ein kleines Stück zurück zu einer winzigen Landzunge im Bajit Sorjosjávri und einer ebenen Stelle.

Donnerstag, 13. September – Das Packen macht am Morgen keine Freude. Kalt ist der Wind. Brrr. Hinter der Sorjoshytta sind in den letzten Jahren zwei weitere Brücken installiert worden, die eine heikle Stelle entschärfen, aber auf meiner Karte noch nicht verzeichnet sind. Es geht bergauf in ein Reich aus Stein. Ab und an ein hartes Schneefeld, es ist felsig und äußerst karg. Auf über 1.000 Meter Höhe steige ich empor und werde von einem eisigen Wind aus den Bergen vertrieben. Rüber über den höchsten Punkt, hinab zu einem See, noch ein Übergang, wieder ein See. Weiterhin in alle Richtungen nur Steine, Felsen und Schnee. In der Ferne schimmert ein Stück des Blåmannsisen. Dann die letzte Furt oberhalb des Storelvvatnan. Aber sie ist harmlos. Kurz darauf, als Hagel heranrollt und die Finsternis zurückkehrt, erreiche ich die Schotterpiste, die nach Sulitjelma, dieser ehemaligen Bergarbeitersiedlung, runterzieht. Aber ich wähle zuerst noch den steilen Pfad hinab zur Ny-Sulitjelma-Hütte, an der die Sache schon jetzt so gut wie geschafft ist. Ein Auto kommt vorbei mit einer Norwegerin auf Beerensuche. Von hier an folge ich dem Fahrweg und halte Ausschau nach einer letzten Zeltmöglichkeit. An einem Flachstück mit See und Flusslauf, mit Blick auf Sulitjelma und Fagerli gelegen, werde ich fündig. Es geht weitere hunderte Höhenmeter hinab, aber die spare ich mir für morgen auf. Am Abend liegen mir beleuchtete Häuser und Straßenlaternen zu Füßen. Ich komme zur Ruhe.

Freitag, 14. September – Natürlich muss in der letzten Nacht stürmischer Wind aufkommen, der mir das Zeltgewebe ins Gesicht drückt. Ich bin früh auf den Beinen, zurück auf der Schotterpiste. Immerhin bleibt mir der Regen vorerst erspart, doch als ich um 08:30 Uhr in Sulitjelma an der Kirche einlaufe und kurz darauf vor dem noch nicht geöffneten coop stehe, herrscht mal wieder Mistwetter. Was soll’s? Der Drops ist gelutscht!

Die Route
Saltoluokta – Sitojaure – Aktse – Skierffe – Rapadalen – Skárjá – Álggavágge – Alkavare kapell – Tuottarstugorna – Staloluokta – Staddajåkkåstugorna – Sårjåsjávrre – Sulitjelma

Die Solo-Durchquerung der Sarek- und Padjelanta-Region bot alles, was eine gute Tour ausmacht. Anspruchsvolles Gelände, wechselhaftes Wetter, Unsicherheit, Freude, grandiose Landschaften, miese Stimmungen und ein tiefes Eintauchen in die Zeit vor Ort. Keine Oberflächlichkeit, kein schnelles Abenteuer. Es war eine Wanderung mit Haut und Haar. Jeder Moment kostbar – egal ob vor Kälte zitternd oder in die Sonne blinzelnd.

Aber, war da nicht noch was? Doch, ich habe ja Epilepsie. Jeden Morgen und Abend schluckte ich brav meine Tabletten. Mehr nicht. Ich fühlte mich gut, sicher. Auch völlig allein.

Diese Unternehmung war die erste Reise meines Projekts Mein Norden und ist auch Teil des gleichnamigen Fotobuchs.

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11 Kommentare Neuen Kommentar hinzufügen

  1. Dennis sagt:

    Vielen Dank für den schönen Bericht! Ich bin fast die gleiche Tour auch schon gegangen und konnte beim Lesen viele der Eindrücke wieder in Erinnerung rufen. Dafür nochmal ein herzliches Dankeschön!

  2. Rolf sagt:

    Ein schöner Bericht, Danke dafür! Eine Frage hätte ich aber schon – wie machst Du das eigentlich mit den Kameraakkus? Lademöglichkeiten gibt es auf so einer Tour ja eher nicht …

  3. Rolf sagt:

    @Martin
    Danke für Deine Antwort – diese Beschränkung hat ja vielleicht auch ihr Gutes, man lernt mal wieder ein bisschen Selbstdisziplin und macht seine Bilder doch wieder etwas überlegter …

    Schöne Grüße aus Hattingen nach Wuppertal!

  4. Peter sagt:

    Das scheint ja das komplette Spektrum zu sein – Sonne, Schnee, Herbst. Wir waren in etwa zur selben Zeit dort – allerdings in der entgegengesetzten Richtung.

    Grüsse aus Schweden!

  5. Arnold sagt:

    Hallo Martin, großartige Tour! Kannst Du mir noch ein paar Daten zu Deiner durchschnittlichen Tages-km-Leistung sagen? Gibt es von Sulitjelma eine Busverbindung nach Fauske? Ich habe die Tour in einer recht ähnlichen Konfiguration vor. :-)

  6. @Arnold
    Puh, ich weiß gar nicht genau, wie viele Kilometer ich da so am Tag gelaufen bin … Mit 15 Tagen war ich aber recht üppig „versorgt“ – 12 solltest Du aber sicherlich für die Strecke zur Verfügung haben. Dann wird es so im Bereich von etwa 15 bis 20 km pro Tag liegen. Aber wie gesagt, ich habe es nicht nachgemessen oder anderweitig kontrolliert.

    Ja, von Sulitjelma gibt es eine regelmäßige Busverbindung nach Fauske. Infos findest Du hier: http://177nordland.no

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