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Charging Complete – Oder: Ich möchte raus

Im Skuleskogen-Nationalpark, Foto: Martin Hülle

Wir wollten nur noch weg. Nach Schweden und Norwegen – auf unser imaginäres Sofa. Nach all meinen gesundheitlichen Querelen endlich die richtige Erholung finden, Abstand gewinnen, den Stress abschütteln. Und Kraft tanken für einen Neuanfang – die Akkus wieder aufladen. Das war vor gut vier Wochen. Jetzt sind wir zurück aus dem Norden – von Meeresküsten, Waldpfaden und Berggipfeln. Und tatsächlich: Mit dem räumlichen Abstand, dem Ausbruch aus der Umgebung, an die ich zuvor so gefesselt war, konnte ich weitere Schritte nach vorne tun. Nur zu Beginn, in der ersten Woche, da schlich sich noch einmal für einen Tag die Krankheit in mir ein. Mit Kopfschmerzen, Gliederziehen und Kältegefühl – wie daheim kurz vor unserer Abreise. Aber dann ging es stetig aufwärts. Und je länger wir unterwegs waren, desto mehr konnten wir abschalten, alles zurücklassen. Uns einfach erfreuen an dem, was sich am Wegesrand auftat.

Schön war’s. Sehr sogar! Und entgegen unserer letztjährigen Rundreise durch Norwegen, bei der uns ein Weltuntergangswetter auf Schritt und Tritt begleitete und wir fast tagein tagaus mit fiesem Regen zu kämpfen hatten, war es in diesem Jahr überwiegend trocken und warm. Herrlich. Wir konnten meistens draußen vor dem Zelt frühstücken und zu Abend essen und mussten uns nicht ständig verkriechen. Das tat der Erholung gut und spornte uns an, immer wieder in die Natur aufzubrechen. An einigen Orten machten wir dafür länger Station und fuhren nicht jeden Tag weiter. So in der Region Höga Kusten im Osten Schwedens, wo wir Wanderungen im Skuleskogen-Nationalpark unternahmen. Über Stock und Stein, durch Schluchten und Wälder, an Seen und dem Meer entlang. Oder am Kallsjön in Jämtland. Dort bestiegen wir bei etwas rauerem Wetter den Gipfel des Suljätten und stapften durch sumpfiges Gelände. Und schließlich am Femundsee in Ost-Norwegen. Zwischen Rentieren, Ameisenhügeln und Pilzen kamen wir endgültig zur Ruhe. All das drumherum und zwischendurch – die Großstadt Stockholm, der verlassene Skiort Åre, das beschauliche Røros oder die touristische schwedische Westküste am Ende unserer Reise – war darüber hinaus schmuckes Beiwerk und nette Abwechslung.

Köstlich auch die Burger an den ESSO-Tankstellen, das eine und andere Softeis. Oder die riesige Tüte voller Godis, die wir im Örnsköldsviker Candy Corner erstanden. Wir ließen es uns gut gehen. Meine Epilepsie-Pillen nahm ich nicht mehr so stur zur immergleichen Uhrzeit ein, schlief lieber aus und hatte immer seltener mit Schwindel zu tun. Das Gefühl, krank zu sein, rückte in den Hintergrund. Wenn wir in die Natur eintauchten und ich Selma in der Kindertrage auf dem Rücken trug, konnte ich fast alles abstreifen. Lieber hielten wir Ausschau nach Tieren, Tannenzapfen und Tümpeln …

Zu unserer großen Freude sprach Selma in diesem Urlaub auch ihren ersten korrekten Satz: „Ich möchte raus!“ Keinen wurschteligen Sprachfetzen mehr, bei dem das eine oder andere Wort fehlt. Nein, sie sagte es klar heraus. Immer wieder. Jeden morgen. Gut, sie meinte damit im Grunde nur, hinaus aus dem Zelt zu wollen. Wir fassten es etwas weiter, so, als wenn sie damit ausdrücken würde, mit Wanderschuhen an den Füßen und einem kleinen Rucksack auf dem Rücken endlich wieder hinein in die Natur zu können. So sind Eltern eben.

Für mich wurden diese drei Worte gar zu einer Art Mantra. Auch ich möchte raus. Wieder raus. Zu den Orten im Norden, an denen meine Passion für diese Landschaften ihren Anfang nahm und die mir im Laufe meines Reiselebens wichtig waren. Aber auch zu neuen Flecken, dorthin, wo ich noch nicht war. Der vielgenannte Neuanfang. Während unseres Unterwegsseins reifte die Idee, der Plan, das Konzept für ein neues und großes Projekt. Etwas, das ich jetzt beginnen möchte. Nach den Wirren und dem Krankheitsscheiß. Entwickelt aus und durch die Krise.

In Kürze mehr zu diesem, meinem weiteren und neuen Weg. Jetzt sind wir erstmal wieder hier. Erholt. Charging Complete sozusagen.

Die Reiseroute
Helsingborg – Gränna – Simonstorp – Lungsund – Stockholm – Högen – Docksta – Höga Kusten – Skuleskogen – Örnsköldsvik – Stugun – Östersund – Kallsjön – Åre – Trondheim – Røros – Femundsee – Mollösund – Göteborg – Falkenberg – Laholm – Kullen – Malmö

> Epilepsie (alle Beiträge im Blog)

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7 Kommentare Neuen Kommentar hinzufügen

  1. Jens sagt:

    Freut mich sehr, dass Ihr einen schönen Urlaub hattet und Ihr euch erholen konntet. Vor allem freut mich, dass es Dir wieder besser geht! Ich wünsche Dir weiterhin alles Gute auf Deinem weiteren Weg. Du schaffst das!

  2. Michael W. sagt:

    Freut mich zu lesen, dass es Dir besser geht und Ihr eure Akkus mal wieder laden konntet. Das hatten wir in unserem letzten Österreich/Schweiz Urlaub auch gemacht. Berge, Seen und die pure Natur. Herrlich und als Stadtmensch lernt man das immer wieder zu schätzen.

    Ich bin schon auf weitere Fotos mit Deiner X-Pro1 gespannt.

    Wünsche Dir eine schöne und entspannte Woche.

    Micha

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